Eiablage und Brutpflege beim Bauchhärling Ch. cordiformis
Verfasst: 9. September 2019, 15:06
Hallo in die Runde,
vor ca. einem Jahr konnte ich auf dem letztjährigen Dörnberg-Treffen beobachten, wie ein Bauchhärling sein frisch gelegtes Ei mit Detritus-Flocken tarnte. Damals war der Nachweis dieser bei Gastrotrichen völlig unbekannten Art von Brutpflege nicht ganz eindeutig. Ich hielt das Tier für einen etwas "ungewöhnlichen" Chaetonotus chuni und war seither auf der Suche nach weiteren Exemplaren dieser Art, um meine damalige Beobachtung zu erhärten, hatte aber fast ein Jahr lang das Pech, diese Art nicht wieder zu finden. Vor ca. 2 Wochen entdeckte ich diese Tiere dann doch wieder - ca. 150m vor meiner Haustüre im Fluss Regen! Eine genauere Schuppenanalyse machte mir klar, dass diese Tiere nicht zur Art Chaetonotus chuni, sonder zur nahe verwandten, aber sehr viel selterenen Art Chaetonotus cordiformis gehören. In einem Mikroaquarium konnte ich das Verhalten der Tiere über einen längeren Zeitraum beobachten.
Bild 1: Ch. cordiformis; Übersicht
Ch. cordiformis zeichnet sich durch die großen, herzförmigen Stachelschuppen mit Nebenspitze aus, wobei die zweite Spitze recht weit von dem Stachelende entfernt sitzt.
Bild 2: Ch. cordiformis; Schuppen
Abweichend zur Nominalform überragen die terminalen Stacheln bei meinen Tieren nicht oder nur sehr knapp die Zehen. Dies mag aber daran liegen, dass bei meinen Aufnahmen die Tiere nicht "platt gedrückt" wurden und die Stacheln relativ steil in die Höhe ragen. Dadurch erscheinen sie perspektivisch verkürzt. Die relative Länge der Endstacheln ist im Bestimmungsschlüssel kein relevantes Bestimmungsmerkmal, so dass ich mir der Artdiagnose recht sicher bin.
Bild 3: Ch. cordiformis; Seitenansicht
Das beobachtete Tier trug ein erstaunlich großes Ei und stand kurz vor der Eiablage. Nach ca. 40 min ununterbrochenem Filmens mit dem 40er Objektiv konnte ich die Eiablage gut beobachten und in einem Video dokumentieren. Es war das erste Mal, dass mir ein solches Video mit einem starken Objektiv gelang.
Bild 4: Ch. cordiformis; Eiablage
Zur Eiablage spannt das Tier seine Längsmuskeln an. Dadurch verlagert sich der Darmtrakt zur Seite und das Ei tritt auf der Bauchseite aus. Dabei wird nicht, wie auch von mir vorher verbreitet, die Haut aufgerissen, um dem Ei ein Austritt zu ermöglichen. Vielmehr scheint es, dass das Ei aus einer vorhandenen, mikroskopisch unsichtbaren Öffnung nahe der Zehenbasis austritt. Körperflüssigkeit oder Gewebe tritt so nicht aus. Auch die Schuppenanordnung wird nicht gestört.
Bild 5: Ch. cordiformis; Ei; 100x
Das Ei selbst zeigt die für Gastrotrichen typische doppelte Eischale. Die äußere Eischale ist bei dieser Art gefaltet und flexibel, währen die innere Eischale kurz nach der Ablage aushärtet. Das Ei selbst liegt anfangs völlig frei und ungetarnt.
Bei Gastrotrichen ist nach der Eiablage keinerlei "elterliche Sorge" bekannt. Deshalb erstaunte es um so mehr, als ich beobachten konnte, wie die Mutter das Ei in den nächsten Minuten sorgfältig mit Detritus-Flocken tarnte:
Bild 6: Ch. cordiformis; Muttertier bei Tarnung
Das Muttertier brachte Detritus-Flocken aus der Umgebung in seiner Mundhöhle zum Ei und deponierte diese an der klebrigen Außenschale des Eis. Die Flocken wurden anschließen sorgfältig verteilt und fest gedrückt.
Bild 7: Ch. cordiformis; vollständig getarntes Ei
Erst als das Ei vollständig - wohl zur Tarnung - mit Detritus umgeben war, verließ die Mutter das nun auf sich selbst gestellte Ei. Während der ganzen Embryonalentwicklung blieb das Muttertier in der Nähe des Eis und "besuchte" es regelmäßig. Ob diese häufigen Besuche ebenfalls ein Teil des Brutpflegeverhaltens ist, kann ich nicht sagen. Es war jedenfalls auffällig, dass das Muttertier bei einer Mikroaquariums-Größe von 24mm x 60mm in der gesamten Zeit (38h) sich nicht weiter als einige Millimeter von dem Ei entfernte.
Bild 7: Ch. cordiformis; Brutpflege; Film - zum Starten bitte anklicken!
Nach einer Embryonalentwicklung von 38h (Eiablage bis zum Schlüpfen) durchbrach das Jungtier die Eischale und begann sein selbstständiges Leben.
Bild 8: Ch. cordiformis; Jungtier
Über die Embryonalentwicklung von Gastrotrichen hatte ich bereits anderweitig berichtet (https://www.mikroskopie-forum.de/index. ... #msg241359). Bei Ch. cordiformis läuft sie ganz ähnlich ab, so dass ich hier nicht näher darauf eingehen möchte. Die Embryonalentwicklung von 38h haben ich in einen Zeitraffer-Film mit einer Länge von ca. 29 min zusammengefasst. Wenn sich jemand diesen Film trotz der Länge antun möchte, dann sagt Bescheid - ich stelle ihn dann auch Online.
Erstmal konnte ein Brutpflegeverhalten bei Süsswasser-Gastrotrichen beobachtet und dokumentiert werden. Ich finde es ganz erstaunlich, dass diese ca. 180µm großen Tiere mit Ihren (großzügig geschätzten) ca. 100 Nervenzellen zu so einem komplexen Verhalten fähig sind. Nicht nur, dass kontinuierlich Detritus zum Ei geschafft wird - auch der Ort des Eies muss immer wieder gefunden werden. Die Tiere haben wohl ein Vorstellung Ihrer Umgebung und reagieren nicht nur stur auf äußere Reize.
Nur sehr wenige Gastrotrichen-Arten zeigen ein vergleichbares Brutpflegeverhalten. Ich habe schon bei einer Reihe von Arten die Eiablage gesehen und konnte sonst niemals ein Verhalten beobachten, das über eine Wahl des Ablegeplatzes hinausgeht. Die Eier wurden nach der Ablage stets sich selbst überlassen. Lediglich bei Lepidochaetus zelinkai (ehemals Chaetonotus zelinkai) sind die abgelegten Eier ebenfalls mit einer Detritushülle umgeben, die eine analoge Brutpflege nahe legt. Leider konnte ich bei L. zelinkai niemals die Eiablage direkt beobachten. Bei vor kurzem abgelegten Eier fiel mir aber bereits vor langer Zeit auf, dass das Muttertier das Ei immer wieder "betastet". Es würde mich nicht wundern, wenn auch die Eier von L. zelinkai ohne Detritushülle abgelegt werden würden und dann von der Mutter entsprechend getarnt würden.
Viele Grüße
Michael
vor ca. einem Jahr konnte ich auf dem letztjährigen Dörnberg-Treffen beobachten, wie ein Bauchhärling sein frisch gelegtes Ei mit Detritus-Flocken tarnte. Damals war der Nachweis dieser bei Gastrotrichen völlig unbekannten Art von Brutpflege nicht ganz eindeutig. Ich hielt das Tier für einen etwas "ungewöhnlichen" Chaetonotus chuni und war seither auf der Suche nach weiteren Exemplaren dieser Art, um meine damalige Beobachtung zu erhärten, hatte aber fast ein Jahr lang das Pech, diese Art nicht wieder zu finden. Vor ca. 2 Wochen entdeckte ich diese Tiere dann doch wieder - ca. 150m vor meiner Haustüre im Fluss Regen! Eine genauere Schuppenanalyse machte mir klar, dass diese Tiere nicht zur Art Chaetonotus chuni, sonder zur nahe verwandten, aber sehr viel selterenen Art Chaetonotus cordiformis gehören. In einem Mikroaquarium konnte ich das Verhalten der Tiere über einen längeren Zeitraum beobachten.
Bild 1: Ch. cordiformis; Übersicht
Ch. cordiformis zeichnet sich durch die großen, herzförmigen Stachelschuppen mit Nebenspitze aus, wobei die zweite Spitze recht weit von dem Stachelende entfernt sitzt.
Bild 2: Ch. cordiformis; Schuppen
Abweichend zur Nominalform überragen die terminalen Stacheln bei meinen Tieren nicht oder nur sehr knapp die Zehen. Dies mag aber daran liegen, dass bei meinen Aufnahmen die Tiere nicht "platt gedrückt" wurden und die Stacheln relativ steil in die Höhe ragen. Dadurch erscheinen sie perspektivisch verkürzt. Die relative Länge der Endstacheln ist im Bestimmungsschlüssel kein relevantes Bestimmungsmerkmal, so dass ich mir der Artdiagnose recht sicher bin.
Bild 3: Ch. cordiformis; Seitenansicht
Das beobachtete Tier trug ein erstaunlich großes Ei und stand kurz vor der Eiablage. Nach ca. 40 min ununterbrochenem Filmens mit dem 40er Objektiv konnte ich die Eiablage gut beobachten und in einem Video dokumentieren. Es war das erste Mal, dass mir ein solches Video mit einem starken Objektiv gelang.
Bild 4: Ch. cordiformis; Eiablage
Zur Eiablage spannt das Tier seine Längsmuskeln an. Dadurch verlagert sich der Darmtrakt zur Seite und das Ei tritt auf der Bauchseite aus. Dabei wird nicht, wie auch von mir vorher verbreitet, die Haut aufgerissen, um dem Ei ein Austritt zu ermöglichen. Vielmehr scheint es, dass das Ei aus einer vorhandenen, mikroskopisch unsichtbaren Öffnung nahe der Zehenbasis austritt. Körperflüssigkeit oder Gewebe tritt so nicht aus. Auch die Schuppenanordnung wird nicht gestört.
Bild 5: Ch. cordiformis; Ei; 100x
Das Ei selbst zeigt die für Gastrotrichen typische doppelte Eischale. Die äußere Eischale ist bei dieser Art gefaltet und flexibel, währen die innere Eischale kurz nach der Ablage aushärtet. Das Ei selbst liegt anfangs völlig frei und ungetarnt.
Bei Gastrotrichen ist nach der Eiablage keinerlei "elterliche Sorge" bekannt. Deshalb erstaunte es um so mehr, als ich beobachten konnte, wie die Mutter das Ei in den nächsten Minuten sorgfältig mit Detritus-Flocken tarnte:
Bild 6: Ch. cordiformis; Muttertier bei Tarnung
Das Muttertier brachte Detritus-Flocken aus der Umgebung in seiner Mundhöhle zum Ei und deponierte diese an der klebrigen Außenschale des Eis. Die Flocken wurden anschließen sorgfältig verteilt und fest gedrückt.
Bild 7: Ch. cordiformis; vollständig getarntes Ei
Erst als das Ei vollständig - wohl zur Tarnung - mit Detritus umgeben war, verließ die Mutter das nun auf sich selbst gestellte Ei. Während der ganzen Embryonalentwicklung blieb das Muttertier in der Nähe des Eis und "besuchte" es regelmäßig. Ob diese häufigen Besuche ebenfalls ein Teil des Brutpflegeverhaltens ist, kann ich nicht sagen. Es war jedenfalls auffällig, dass das Muttertier bei einer Mikroaquariums-Größe von 24mm x 60mm in der gesamten Zeit (38h) sich nicht weiter als einige Millimeter von dem Ei entfernte.
Bild 7: Ch. cordiformis; Brutpflege; Film - zum Starten bitte anklicken!
Nach einer Embryonalentwicklung von 38h (Eiablage bis zum Schlüpfen) durchbrach das Jungtier die Eischale und begann sein selbstständiges Leben.
Bild 8: Ch. cordiformis; Jungtier
Über die Embryonalentwicklung von Gastrotrichen hatte ich bereits anderweitig berichtet (https://www.mikroskopie-forum.de/index. ... #msg241359). Bei Ch. cordiformis läuft sie ganz ähnlich ab, so dass ich hier nicht näher darauf eingehen möchte. Die Embryonalentwicklung von 38h haben ich in einen Zeitraffer-Film mit einer Länge von ca. 29 min zusammengefasst. Wenn sich jemand diesen Film trotz der Länge antun möchte, dann sagt Bescheid - ich stelle ihn dann auch Online.
Erstmal konnte ein Brutpflegeverhalten bei Süsswasser-Gastrotrichen beobachtet und dokumentiert werden. Ich finde es ganz erstaunlich, dass diese ca. 180µm großen Tiere mit Ihren (großzügig geschätzten) ca. 100 Nervenzellen zu so einem komplexen Verhalten fähig sind. Nicht nur, dass kontinuierlich Detritus zum Ei geschafft wird - auch der Ort des Eies muss immer wieder gefunden werden. Die Tiere haben wohl ein Vorstellung Ihrer Umgebung und reagieren nicht nur stur auf äußere Reize.
Nur sehr wenige Gastrotrichen-Arten zeigen ein vergleichbares Brutpflegeverhalten. Ich habe schon bei einer Reihe von Arten die Eiablage gesehen und konnte sonst niemals ein Verhalten beobachten, das über eine Wahl des Ablegeplatzes hinausgeht. Die Eier wurden nach der Ablage stets sich selbst überlassen. Lediglich bei Lepidochaetus zelinkai (ehemals Chaetonotus zelinkai) sind die abgelegten Eier ebenfalls mit einer Detritushülle umgeben, die eine analoge Brutpflege nahe legt. Leider konnte ich bei L. zelinkai niemals die Eiablage direkt beobachten. Bei vor kurzem abgelegten Eier fiel mir aber bereits vor langer Zeit auf, dass das Muttertier das Ei immer wieder "betastet". Es würde mich nicht wundern, wenn auch die Eier von L. zelinkai ohne Detritushülle abgelegt werden würden und dann von der Mutter entsprechend getarnt würden.
Viele Grüße
Michael