Komplexe Lebensgemeinschaft – Biofilm aus alter Moorprobe
Verfasst: 21. Oktober 2016, 21:39
Liebe Kollegen,
es handelt sich hier um eine "Parallelveröffentlichung" zum großen Mikroskopieforum. Das Thema ist eigentlich ein Tümplerthema par excellence, aber gleichzeitig möglicherweise auch von allgemeinerem Interesse, so dass ich es in beiden Foren zeige. Da die Proben aus der Schwemm vom Pillersee-Treffen 2016 stammen, stelle ich es unter "Exkursionsberichte" ein. Natürlich kann es gerne verschoben werden.
Beste Grüße
Ole
***
In den vergangenen Wochen habe ich mich intensiv mit einer alten Probe beschäftigt, die aus dem bekannten und hinsichtlich Artenvielfalt an mikroskopischen Organismen einzigartigen Moorkomplex im Norden Österreichs, der Schwemm, stammt. Ich hatte im Rahmen des Pillersee-Treffens im Juni dort Proben genommen. Viele der ursprünglich in der Probe vorkommenden Organismen haben sich erhalten, neue Arten sind hinzugekommen oder haben sich stark vermehrt. In den letzten Wochen hat sich an der Wand des Probengefäßes (Marmeladenglas) ein hochinteressanter Biofilm entwickelt, den ich hier näher vorstellen möchte.
Biofilme sind komplexe Lebensgemeinschaften, in denen Bakterien, Pilze, Protozoen, Algen und mikroskopisch kleine Tiere in unmittelbarer Nähe leben und räumlich sowie funktionell eine abgrenzbare Einheit bilden. Eingebettet sind die Organismen in eine schleimig-gallertige Grundsubstanz, die von Mitgliedern der Gemeinschaft abgeschieden wird und aus verquellenden Polymeren besteht. Biofilme bilden sich an Grenzflächen; im Falle meiner Schwemmprobe an der Grenzfläche Glas-Wasser. Biofilme sind sehr ursprüngliche Formen der Vergesellschaftung von Organismen, die schon früh in der Entwicklung des Lebens auftraten und im Einzelfall geologisch heute noch sichtbare Strukturen geschaffen haben. Die aus dem Präkambrium stammenden Stromatolithen in Australien stellen über Jahrmillionen gewachsene Schichten von Biofilmen dar, bei denen die beteiligten Mikroorganismen Sedimentbestandteile, Kalk und andere gelöste Stoffe durch ihren Stoffwechsel gefällt und damit zur Bildung von biogenen Sedimentgesteinen beigetragen haben.
Ich habe die Entwicklung des Biofilmes in meiner Schwemm-Probe nicht von Anbeginn an verfolgt, sondern bin erst auf diese Gemeinschaft aufmerksam geworden, als sie als durchscheinendes bräunlich-grünes Häutchen schon ein beträchtliches Ausmaß angenommen hatte und mit freiem Auge sichtbar wurde. In einem früheren Beitrag (http://www.mikroskopie-forum.de/index.p ... #msg191890) hatte ich einen vergleichsweise einfachen Biofilm vorgestellt, der hauptsächlich aus fädigen Cyanobakterien und Diatomeen gebildet wurde. Im Folgenden möchte ich nun die wesentlich komplexere Gemeinschaft aus der Schwemm vorstellen.
Die Aufnahmen sind an einem Olympus BH-2 (Hellfeld, Phasenkontrast) und einem Zeiss Standard WL (DIK) entstanden. Die verwendeten Objektive habe ich jeweils angegeben. Ich habe bewusst Totalproben der Gemeinschaft mikroskopiert, indem ich Teile der schleimigen Masse mit einer feinen Pinzette von der Wandung des Probengefäßes abgezupft habe. Nach Auflegen des Deckglases habe ich das Präparat leicht gepresst und überschüssiges Wasser abgesaugt, um für die Dokumentation halbwegs ordentliche Bedingungen (möglichst geringe Schichtdicke) herzustellen. Anders als bei der sorgfältigen Bearbeitung einzelner Organismen bedeutet dies natürlich einen Kompromiss, so dass insbesondere bei Verwendung von hochaperturigen Objektiven nur die oberen Schichten der Probe sinnvoll untersucht werden können.
Soviel zu den Präliminarien, nun zur Probe selbst.
Der Biofilm im Überblick
Bei schwächerer Vergrößerung erkennt man ein verwirrendes Dickicht von teils fädigen, teils flockigen Strukturen, in die größere Algenzellen eingebettet sind (links). Wenn man die oberen Schichten des Präparates näher mit der Ölimmersion untersucht (rechts), erkennt man eine Vielzahl von Bakterien mit unterschiedlichen Morphologien, die dicht an dicht, häufig kolonial, den Biofilm durchsetzen. Wollte man näher bestimmen, um welche Arten von Bakterien und Stoffwechseltypen es sind handelt, müsste man wohl aufwändige genetische „fingerprinting“-Untersuchungen durchführen.
Cyanobakterien als Strukturbildner
Die folgenden Aufnahmen zeigen Cyanobakterien der Gattung Oscillatoria, die die bedeutendsten Strukturbildner des Biofilmes darstellen. Durch ihre fädige Wuchsform und die Ausbildung einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Gallerthülle (Begrenzung der Gallerte mit Pfeilspitzen) schaffen sie ein dreidimensionales Netzwerk, in dessen Lücken sich weitere Organismen eingliedern können.
In den Biofilm eingebettet findet man auch Cyanobakterien der Gattung Stigonema. Hierbei handelt es sich um morphologisch besonders hoch entwickelte „Blaualgen“, bei denen echte Verzweigungen und mehrreihige Trichome auftreten. In der rechten Teilabbildung ist mit Pfeilspitzen markiert, ab welcher Stelle des Fadens die Organisation des Vegetationskörpers mehrreihig wird. Auch diese Art bildet eine Gallerthülle aus, die besonders an der feinen Spitze des Trichoms deutlich wird (Pfeilspitze in Abbildung unten links).
Neben diesen beiden auffälligen, fädigen Arten wird der Biofilm von zahlreichen weiteren Cyanobakterien besiedelt. Ich zeige in der folgenden Abbildung nur Formen, die ich einigermaßen auf Gattungsniveau identifizieren kann (von oben links nach unten rechts: Nostoc spec., Merismopedia spec., Chroococcus spec. und Aphanothece spec (?).). Letztere Art bildet große gallertige Lager aus, von denen die Abbildung nur einen Ausschnitt zeigt.
Algen des Biofilmes
Neben den Cyanobakterien finden sich in meinen Proben zahlreiche Algen, von denen ich eine Auswahl zeige. Insbesondere sind dies – dem Ort der Probenahme entsprechend – Desmidiaceen und verwandte Formen. Die folgenden Bilder zeigen Hyalotheca dissiliens (oben links) mit ausgeprägter Gallerthülle im Phasenkontrastbild, Xanthidium antilopaeum (oben rechts), die ebenfalls von einem Halo aus Gallerte umgeben ist, sowie die seltsam spiralig in sich verdrehten Fäden von Desmidium swartzii (unten, unterschiedliche Schärfeebenen).
Weiterhin findet man Micrasterias truncata (oben links), unterschiedliche Closterien (eine davon unten links), sowie – für mich ein Neufund – Schizochlamys gelatinosa (rechte Teilabbildungen). Bei dieser in Gallerte eingebetteten Art sprengen die Tochterzellen bei der Teilung die Wände der Mutterzelle, die alten Zellwände bleiben jedoch in der Umgebung liegen (oben rechts). Man bekommt den Eindruck, als seien die Zellen „frisch geschlüpft“. Im DIK lassen sich wunderbar die merkwürdigen, unbeweglichen Gallertgeißeln darstellen, die von den Zellen als Fadengeflecht ausgehen (unten rechts).
Mikrofauna des Biofilmes
Zum Abschluss soll auch die mikroskopische Fauna nicht unerwähnt bleiben. Die Vielzeller sind einerseits durch einen, nicht weiter bestimmten, Nematoden (links) vertreten, der sich wendig und unter Schlängelbewegungen durch das unübersichtliche Dickicht des Biofilmes bewegt. Andererseits trifft man zahlreiche Exemplare einer Lecane-Art (oben rechts). Zwei exemplarische Protozoen runden das Bild ab – die Amöbe Cochliopodium spec. (unten links) sowie zwei Ansichten eines Ciliaten, den ich nicht näher eingrenzen kann (unten rechts).
Viele Grüße
Ole
es handelt sich hier um eine "Parallelveröffentlichung" zum großen Mikroskopieforum. Das Thema ist eigentlich ein Tümplerthema par excellence, aber gleichzeitig möglicherweise auch von allgemeinerem Interesse, so dass ich es in beiden Foren zeige. Da die Proben aus der Schwemm vom Pillersee-Treffen 2016 stammen, stelle ich es unter "Exkursionsberichte" ein. Natürlich kann es gerne verschoben werden.
Beste Grüße
Ole
***
In den vergangenen Wochen habe ich mich intensiv mit einer alten Probe beschäftigt, die aus dem bekannten und hinsichtlich Artenvielfalt an mikroskopischen Organismen einzigartigen Moorkomplex im Norden Österreichs, der Schwemm, stammt. Ich hatte im Rahmen des Pillersee-Treffens im Juni dort Proben genommen. Viele der ursprünglich in der Probe vorkommenden Organismen haben sich erhalten, neue Arten sind hinzugekommen oder haben sich stark vermehrt. In den letzten Wochen hat sich an der Wand des Probengefäßes (Marmeladenglas) ein hochinteressanter Biofilm entwickelt, den ich hier näher vorstellen möchte.
Biofilme sind komplexe Lebensgemeinschaften, in denen Bakterien, Pilze, Protozoen, Algen und mikroskopisch kleine Tiere in unmittelbarer Nähe leben und räumlich sowie funktionell eine abgrenzbare Einheit bilden. Eingebettet sind die Organismen in eine schleimig-gallertige Grundsubstanz, die von Mitgliedern der Gemeinschaft abgeschieden wird und aus verquellenden Polymeren besteht. Biofilme bilden sich an Grenzflächen; im Falle meiner Schwemmprobe an der Grenzfläche Glas-Wasser. Biofilme sind sehr ursprüngliche Formen der Vergesellschaftung von Organismen, die schon früh in der Entwicklung des Lebens auftraten und im Einzelfall geologisch heute noch sichtbare Strukturen geschaffen haben. Die aus dem Präkambrium stammenden Stromatolithen in Australien stellen über Jahrmillionen gewachsene Schichten von Biofilmen dar, bei denen die beteiligten Mikroorganismen Sedimentbestandteile, Kalk und andere gelöste Stoffe durch ihren Stoffwechsel gefällt und damit zur Bildung von biogenen Sedimentgesteinen beigetragen haben.
Ich habe die Entwicklung des Biofilmes in meiner Schwemm-Probe nicht von Anbeginn an verfolgt, sondern bin erst auf diese Gemeinschaft aufmerksam geworden, als sie als durchscheinendes bräunlich-grünes Häutchen schon ein beträchtliches Ausmaß angenommen hatte und mit freiem Auge sichtbar wurde. In einem früheren Beitrag (http://www.mikroskopie-forum.de/index.p ... #msg191890) hatte ich einen vergleichsweise einfachen Biofilm vorgestellt, der hauptsächlich aus fädigen Cyanobakterien und Diatomeen gebildet wurde. Im Folgenden möchte ich nun die wesentlich komplexere Gemeinschaft aus der Schwemm vorstellen.
Die Aufnahmen sind an einem Olympus BH-2 (Hellfeld, Phasenkontrast) und einem Zeiss Standard WL (DIK) entstanden. Die verwendeten Objektive habe ich jeweils angegeben. Ich habe bewusst Totalproben der Gemeinschaft mikroskopiert, indem ich Teile der schleimigen Masse mit einer feinen Pinzette von der Wandung des Probengefäßes abgezupft habe. Nach Auflegen des Deckglases habe ich das Präparat leicht gepresst und überschüssiges Wasser abgesaugt, um für die Dokumentation halbwegs ordentliche Bedingungen (möglichst geringe Schichtdicke) herzustellen. Anders als bei der sorgfältigen Bearbeitung einzelner Organismen bedeutet dies natürlich einen Kompromiss, so dass insbesondere bei Verwendung von hochaperturigen Objektiven nur die oberen Schichten der Probe sinnvoll untersucht werden können.
Soviel zu den Präliminarien, nun zur Probe selbst.
Der Biofilm im Überblick
Bei schwächerer Vergrößerung erkennt man ein verwirrendes Dickicht von teils fädigen, teils flockigen Strukturen, in die größere Algenzellen eingebettet sind (links). Wenn man die oberen Schichten des Präparates näher mit der Ölimmersion untersucht (rechts), erkennt man eine Vielzahl von Bakterien mit unterschiedlichen Morphologien, die dicht an dicht, häufig kolonial, den Biofilm durchsetzen. Wollte man näher bestimmen, um welche Arten von Bakterien und Stoffwechseltypen es sind handelt, müsste man wohl aufwändige genetische „fingerprinting“-Untersuchungen durchführen.
Cyanobakterien als Strukturbildner
Die folgenden Aufnahmen zeigen Cyanobakterien der Gattung Oscillatoria, die die bedeutendsten Strukturbildner des Biofilmes darstellen. Durch ihre fädige Wuchsform und die Ausbildung einer mehr oder weniger stark ausgeprägten Gallerthülle (Begrenzung der Gallerte mit Pfeilspitzen) schaffen sie ein dreidimensionales Netzwerk, in dessen Lücken sich weitere Organismen eingliedern können.
In den Biofilm eingebettet findet man auch Cyanobakterien der Gattung Stigonema. Hierbei handelt es sich um morphologisch besonders hoch entwickelte „Blaualgen“, bei denen echte Verzweigungen und mehrreihige Trichome auftreten. In der rechten Teilabbildung ist mit Pfeilspitzen markiert, ab welcher Stelle des Fadens die Organisation des Vegetationskörpers mehrreihig wird. Auch diese Art bildet eine Gallerthülle aus, die besonders an der feinen Spitze des Trichoms deutlich wird (Pfeilspitze in Abbildung unten links).
Neben diesen beiden auffälligen, fädigen Arten wird der Biofilm von zahlreichen weiteren Cyanobakterien besiedelt. Ich zeige in der folgenden Abbildung nur Formen, die ich einigermaßen auf Gattungsniveau identifizieren kann (von oben links nach unten rechts: Nostoc spec., Merismopedia spec., Chroococcus spec. und Aphanothece spec (?).). Letztere Art bildet große gallertige Lager aus, von denen die Abbildung nur einen Ausschnitt zeigt.
Algen des Biofilmes
Neben den Cyanobakterien finden sich in meinen Proben zahlreiche Algen, von denen ich eine Auswahl zeige. Insbesondere sind dies – dem Ort der Probenahme entsprechend – Desmidiaceen und verwandte Formen. Die folgenden Bilder zeigen Hyalotheca dissiliens (oben links) mit ausgeprägter Gallerthülle im Phasenkontrastbild, Xanthidium antilopaeum (oben rechts), die ebenfalls von einem Halo aus Gallerte umgeben ist, sowie die seltsam spiralig in sich verdrehten Fäden von Desmidium swartzii (unten, unterschiedliche Schärfeebenen).
Weiterhin findet man Micrasterias truncata (oben links), unterschiedliche Closterien (eine davon unten links), sowie – für mich ein Neufund – Schizochlamys gelatinosa (rechte Teilabbildungen). Bei dieser in Gallerte eingebetteten Art sprengen die Tochterzellen bei der Teilung die Wände der Mutterzelle, die alten Zellwände bleiben jedoch in der Umgebung liegen (oben rechts). Man bekommt den Eindruck, als seien die Zellen „frisch geschlüpft“. Im DIK lassen sich wunderbar die merkwürdigen, unbeweglichen Gallertgeißeln darstellen, die von den Zellen als Fadengeflecht ausgehen (unten rechts).
Mikrofauna des Biofilmes
Zum Abschluss soll auch die mikroskopische Fauna nicht unerwähnt bleiben. Die Vielzeller sind einerseits durch einen, nicht weiter bestimmten, Nematoden (links) vertreten, der sich wendig und unter Schlängelbewegungen durch das unübersichtliche Dickicht des Biofilmes bewegt. Andererseits trifft man zahlreiche Exemplare einer Lecane-Art (oben rechts). Zwei exemplarische Protozoen runden das Bild ab – die Amöbe Cochliopodium spec. (unten links) sowie zwei Ansichten eines Ciliaten, den ich nicht näher eingrenzen kann (unten rechts).
Viele Grüße
Ole