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Calyptotricha lanuginosa

Verfasst: 4. Januar 2019, 17:30
von Rainer
Liebe Tümplerinnen und Tümpler,

in einer Probe, die ich kurz vor Weihnachten aus dem Blutsee, einem kleinen Niedermoor in der Nähe von Würzburg, entnommen habe (unter einer dünnen Eisschicht), zeigten sich ausgedehnte Eisenbakterienkolonien. In diesen fand ich zahlreich einen gehäusebewohnenden Ciliaten, den ich zunächst für Calyptotricha pleuronemoides hielt. Allerdings besaß kein einziges Exemplar die für Calyptotricha pleuronemoides (wie auch für C. chlorelligerum) geforderten Zoochlorellen. Martin Kreutz, dem ich für seine Hilfe herzlich danke, brachte dann die Auflösung: Es handelt sich um Calyptotricha lanuginosa (s. Foissners Revision, Bd. III, S. 288ff.), eine zwar nicht seltene, aber offenbar nicht häufig dokumentierte Art.

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Auffällig und charakteristisch ist die undulierende Membran, die im zweiten und dritten Bild gut erkennbar ist. Weitere Charakteristika sind die lange Caudalcilie (s. Bild 2) und zwei verlängerte Apikalcilien, die meist nur schwer zu sehen sind (auch auf Bild 3 erkennbar):

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Die hyaline Wohnröhre, am besten erkennbar auf Bild 3, ist leicht bauchig geformt, an den beiden offenen Enden verjüngt sie sich. C. lanuginosa rotiert in ihr ständig um seine Längsachse, ab und zu dreht sich der Ciliat zusätzlich um die Querachse.

Mitunter begegnen Exemplare auch frei schwimmend, die langen Wimpern der undulierenden Membran liegen dann seitlich an:

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Hier noch ein Link zu einem erschöpfenden Vergleich von Martin Kreutz aus dem Jahr 2015 zu den drei Calyptotricha-Arten C. pleuronemoides, C. chlorelligerum und C. lanuginosa:

https://www.mikroskopie-forum.de/index. ... #msg184517

Herzliche Grüße
Rainer

Re: Calyptotricha lanuginosa

Verfasst: 4. Januar 2019, 21:12
von Monsti
Lieber Rainer,

meine Gratulation zu diesem schönen Fund und herzlichen Dank fürs Zeigen, natürlich auch für den Link zu Martins Dokumentation! :wicked_001: Ich selbst kenne nur C. pleuronemoides. Ganz besonders häufig finde ich die grünen Kandidaten in unserem Gartenteich. Ist die Größe von C. lanuginosa mit der von C. pleuronemoides vergleichbar? Falls ja, könnte ich mir gut vorstellen, dass das Viecherl oft einfach nur übersehen wird.

Herzliche Grüße
Angie

Re: Calyptotricha lanuginosa

Verfasst: 4. Januar 2019, 22:01
von paramecium
Lieber Rainer,

da hast Du eine schöne Bestimmungsaufgabe für mich erledigt. [smilie_happy_194.gif] Ich hatte diese Art mitsamt dem Gehäuse bereits in meinen Proben gefunden, war damals aber noch blutiger Anfänger und konnte die Art nicht aufsagen. Wie Martin schrieb, hatte ich den Ciliaten damals zunächst für ein in dem Gehäuse verirrtes Cyclidium gehalten - vor allem wegen der auffälligen, wie ein Segel aufgefächerten, undulierenden Membran. Damals fand ich in solchen Gehäusen gelegentlich zwei Exemplare. Schön, dass Du den Fundort beschrieben hast. Danke für's Zeigen! Ich nehme an, das ist mit einem 100er Objektiv aufgenommen?

Bei diesen Eisenbakterien finde ich auch immer Ciliaten magisch angezogen in Massen. An solchen Stellen in meinen Proben finde ich in der Folge weniger Tage punktuell eine irrsinnige Sukzession bei denen die Arten innerhalb weniger Tage sozusagen die Türklinke in die Hand geben.

Dieser Befund ist auch interessant. Im Moment versuche ich herauszufinden, wie diese Bakterienart heißt, weil diese lokale Sukzession an diesen Stellen besonders auffällig ist.

Was ich ebenfalls interessant finde, ist der Umstand, dass ihnen Kälte offenbar nichts ausmacht.

Gruß

Thilo

Re: Calyptotricha lanuginosa

Verfasst: 5. Januar 2019, 09:28
von Rainer
Liebe Angie, lieber Thilo,

vielen Dank für eure Antworten und die netten Worte!

@Angie: Sorry, ich hatte in meinem Beitrag die Größenangabe vergessen.
Ja, Calyptotricha lanuginosa und C. pleuronemoides sind etwa gleich groß, meine Exemplare maßen in der Länge zwischen 29 und 34 µm. Martin Kreutz nennt in seinem Beitrag im Mikroforum 2015 (Link s.ob.) 22-35µm. Kahl hatte 1931 (Bd. 2, S. 387) von "durchweg 50µm" gesprochen, was aber weder Martin noch ich selbst bestätigen kann. Auch Foissner (Bd. III, S. 288) nennt eine Größe von 30-40 x 15-20µm.
Tatsächlich scheint C. lanuginosa nicht direkt selten zu sein und tritt mitunter, wie jetzt in meinen Blutsee-Proben, häufig auf. Nach Foissner ist er (sie? es?) "ganzjährig verbreitet und manchmal zahlreich im Detritus und Aufwuchs mesosaprober fließender und stehender Gewässer" (ebd., S. 289). Ich finde ihn zur Zeit stets vergesellschaftet mit Eisenbakterienkolonien - vielleicht eine besondere Delikatesse für ihn? Nach H. Blatterer (Some conditions for the distribution and abundance of ciliates (Protozoa) in running waters – Do we really find every species everywhere? In: Verh. Internat. Verein. Limnol. 28 (2002), S. 2) findet sich C. lanuginosa besonders zahlreich in stark eutrophierten Gewässern wie in der Nähe von Abflüssen von Kläranlagen und von intensiv genutzten landwirtschaftlichen Flächen. Allerdings stammt mein Fund aus einem eher "sauberen" Niedermoor.

@Thilo: Die Fotos sind mit dem Planapo 63x/1,4 am Zeiss Axiophot aufgenommen.
Mich würde auch interessieren, um welche Bakterienart es sich bei den Eisenbakterien handelt.
Was du über die Sukzession der Arten in solchen Kolonien schreibst, kann ich bestätigen: Die Lebensgemeinschaft hat sich in den eineinhalb Wochen, in denen ich in die Probe urlaubsbedingt nicht mehr hineingeschaut habe, deutlich gewandelt, ist aber immer noch sehr arten- und individuenreich. Eine spannende Angelegenheit, die ich noch etwas weiter verfolgen möchte.

Herzliche Grüße
Rainer

Re: Calyptotricha lanuginosa

Verfasst: 6. Januar 2019, 20:37
von Monsti
Hallo Rainer,

über "er (sie? es?)" musste ich herzlich lachen, geht es mir doch ständig ähnlich. Als Lateinerin würde ich mich normalerweise an den Endungen orientieren, doch bei den taxonomischen Bezeichnungen gelten sie anscheinend nicht. Wenigstens bezüglich der Desmidiaceen habe ich kein Problem, bei denen ist nämlich alles ein "Es". :wicked_015:

Mach' Dir nix daraus, Du bist in guter Gesellschaft!

Herzliche Grüße
Angie