Dactylochlamys pisciformis
Verfasst: 18. Januar 2017, 21:17
Liebes Forum,
heute möchte ich über den sehr seltsamen Ciliaten Dactylochlamys pisciformis berichten. Er wurde vor 116 Jahren erstmals durch Lauterborn beschrieben (s. Lit.), der dazu schrieb:
„Dactylochlamys gehört mit der Gattung Discomorpha zu den bizarrsten and auffallendsten
Infusorien, die ich kenne. Ihre systematische Stellung festzustellen, ist nicht ganz leicht.“
Leider liegt mir der Originalartikel im Zoologischen Anzeiger von 1901 nicht vor. Die Nachweise von Dactylochlamys nach der Erstbeschreibung halten sich sehr in Grenzen. So wurde er 1922 von Penard beschrieben (s. Lit.), der auch genaue Zeichnungen angefertigt hat:
Nur 8 Jahre später hat Kahl ihn auch beschrieben und gezeichnet (s. Lit.):
Nach Kahl gab es dann keine weiteren Beschreibungen mehr, die mir bekannt wären.
Ich habe Dactylochlamys pisciformis zum ersten Mal im Jahre 2000 in Proben aus dem Simmelried gesichtet. Durch sein charakteristisches Aussehen wusste ich sofort, was ich vor mir hatte und habe umgehend Foissner davon berichtet. Interessanter Weise schrieb er mir zurück, dass er Dactylochlamys selbst noch nie gefunden hat. Dies kann man als sicheren Hinweis deuten, dass die Art offensichtlich nicht sehr verbreitet ist. Deshalb erachte ich es als Glücksfall, dass ich im Simmelried fündig geworden bin, wo die Art konstant zu finden ist und hin und wieder sogar recht häufig wird (bis zu 1 Expl./ml). So ergab sich dann die Gelegenheit die Art eingehender zu untersuchen und zu fotografieren.
In meiner Population wird Dactylochlamys pisciformis ca. 80 µm lang, obwohl Kahl eine Spanne von 80 – 120 µm angibt. Der Ciliat schwimmt langsam und rotiert dabei im Uhrzeigersinn. Selbst bei kleinen Vergrößerungen fällt das „Stachelkleid“ aus kurzen Tentakeln auf. Diese sind nur bei frei schwimmenden Exemplaren gut zu beobachten:
KV = Kontraktile Vakuole
FT = Frontallappen
OT = Öltropfen
Die prominente KV liegt auf der Grenze zum hinteren Drittel. Oft sind Öltropfen enthalten, die manchmal den gesamten Ciliaten füllen.
Die rotierende Schwimmweise rührt von Spiralrippen, welche sich gegen den Uhrzeigerin (linksdrehend) um den Körper ziehen (Pfeile), wie Penard und Kahl es auch übereinstimmend zeichnen:
In apikaler Sicht ist Dactylochlamys drehrund, wie Penard es zeichnete (s. Fig. 3, oben):
Die Cilien sind mit 20 µm sehr lang und weich. Auch die Tentakel sind nicht steif, sondern sind am Grunde biegsam und nur im oberen, distalen Ende steif. Dies liegt an den in den Tentakeln eingelagerten Extrusomen (s. unten). Dadurch zeigen die Tentakel in die unterschiedlichsten Richtungen. Zudem scheinen die Tentakel in ständiger Bewegung sein. Dies liegt jedoch an der Tätigkeit der viel Längeren Cilien. Durch ihre Bewegung werden die Tentakel mit bewegt. Bei vielen, jedoch nicht allen Exemplaren, konnte ich apikal eine transparente Frontallippe beobachten. Der Zweck dieser Lippe bleibt unklar und sie scheint auch nicht konstant zu sein. Was die früheren Autoren auch sofort festgestellt haben und die Einordnung so schwierig macht, ist die fehlende Mundöffnung. Es ist keine zu finden! Dies hat schon Kahl zu der Vermutung veranlasst, dass wir hier eine Übergangsform von den beweglichen Ciliaten zu den Suktoria sehen. Tatsächlich findet man sehr selten abgerundete Stadien (nicht durch Deckglasdruck), die offensichtlich nur noch Cilien im apikalen Bereich besitzen:
Ein solches Stadium hat Penard auch in Figur 4 seiner Abbildungen gezeichnet. Ob dies bedeutet, dass Dactylochlamys auch ein sessiles Stadium einnehmen kann, vermag ich nicht zu sagen. Auf die Verwandtschaft zu den Suktorien deutet auch die Form und Ausbildung der Tentakel hin. Ich habe schon früher versucht, diese mit Ölimmersion zu untersuchen. Bei beginnendem Deckglasdruck werden nach meiner Erfahrung die Tentakel aber dann ins Plasma zurückgezogen. Eine Zufallsbeobachtung erlaubte mir dann aber doch ganz brauchbare Aufnahmen. Wird die Schichtdicke sehr schnell verringert (Deckglas auf einen sehr kleinen Tropfen auflegen), hat der Ciliat offensichtlich keine Zeit mehr die Tentakel einzuziehen und wenn man dann sofort fotografiert, erhält man folgende Bilder:
Ma= Makronukleus
Mi? = eventuell der Mikronukleus
Insbesondere auf dem linken Bild kann man nun den Aufbau der Tentakel genauer erkennen. In jeder Tentakel ist ein 11 µm langes, stabförmiges Extrusom eingebaut. Die beiden Pfeile weisen auf die sichtbaren Enden der Extrusome. Die Schäfte der Tentakel scheinen aus Plasma zu bestehen. Am distalen Ende weisen alle Tentakel eine deutliche Verdickung auf (Pfeilköpfe), wie es auch bei den Suktorien zu finden ist. Die Tentakel sind zu ca. 80% einziehbar und die Extrusome findet man dann im Plasma eingesenkt. Es muss also einen Mechanismus geben, sie ein- und auszufahren, wie bei den Suktorien. Obwohl noch niemand Dactylochlamys pisciformis bei der Nahrungsaufnahme beobachtet hat, kann man sich vorstellen, dass er mit den Tentakeln ebenfalls andere Protozoen einfängt und diese über die Plasmatentakel aussaugt, was das Fehlen einer Mundöffnung erklären würde.
Auf der rechten Aufnahme erkennt man deutlich den runden Makronukleus. In der Mitte des Makronukleus sieht man einen Binnenkörper. Der Makronukleus unterliegt zudem einer gewissen Formvarianz. So findet man auch häufig Exemplare mit einen ovalen oder gar wurstförmigen Makronukleus (s. unten). Ein Mikronukleus wurde bei Dactylochlamys bisher nicht beschrieben. Ich glaube ihn auf 12 Uhr über dem Makronukleus zu erkennen. Um sicher zu gehen, habe ich ein zweites Exemplar isoliert, mit einem gestreckt ovalen Makronukleus:
Ma = Makronukleus
Mi = Mikronukleus
Hier kann man den sehr kleinen Mikronukleus (Durchmesser 2-3 µm) am Makronukleus angelagert erkennen. Dieses Exemplar habe ich auch genutzt, um die endoplasmatischen Bakterien genauer zu untersuchen. Es handelt sich dabei wahrscheinlich um Symbionten:
EX = Extrusome, L = 11 µm
BaK I = Bakterien Typ I, L = 5 µm
Bak II = Bakterien Typ II, L = 11 µm
Bak III = Bakterien Typ III, L = 2 µm
Ich konnte mindestens 3 verschiedene Typen von Bakterien erkennen, wobei die größten (Typ II) schwach gebogene Stäbchen sind mit einer Länge von 11 µm. Die Bakterien von Typ I bilden merkwürdige "Paare". Diese Art von Bakterien habe ich auch schon in anderen Ciliaten des Faulschlammes gesehen.
Die Beobachtung der Nahrungsaufnahme und um was für Beute es sich handelt, wird die nächste Herausforderung. Auch wurde weder eine Zellteilung noch eine Konjugation jemals beobachtet. Leider lässt sich Dactylochlamys pisciformis nicht im Mikroaquarium halten (jedenfalls bei mir nicht) und so wird man auf Zufallfunde angewiesen sein.
Viel Spass beim anschauen!
Martin
Literatur:
- Kahl, A. (1930): Urtiere oder Protozoa. I. Wimpertiere oder Ciliata (Infusoria). 1. Allgemeiner Teil und Prostomata. – Tierwelt Dtl., 18: 1–180.
- Lauterborn, R. (1901): Die sapropelische Lebewelt. Zool. Anz. 24.
- Penard, E : Études Sur Les Infusoires D'eau Douce, Genève : Georg et Cie, 1922.
heute möchte ich über den sehr seltsamen Ciliaten Dactylochlamys pisciformis berichten. Er wurde vor 116 Jahren erstmals durch Lauterborn beschrieben (s. Lit.), der dazu schrieb:
„Dactylochlamys gehört mit der Gattung Discomorpha zu den bizarrsten and auffallendsten
Infusorien, die ich kenne. Ihre systematische Stellung festzustellen, ist nicht ganz leicht.“
Leider liegt mir der Originalartikel im Zoologischen Anzeiger von 1901 nicht vor. Die Nachweise von Dactylochlamys nach der Erstbeschreibung halten sich sehr in Grenzen. So wurde er 1922 von Penard beschrieben (s. Lit.), der auch genaue Zeichnungen angefertigt hat:
Nur 8 Jahre später hat Kahl ihn auch beschrieben und gezeichnet (s. Lit.):
Nach Kahl gab es dann keine weiteren Beschreibungen mehr, die mir bekannt wären.
Ich habe Dactylochlamys pisciformis zum ersten Mal im Jahre 2000 in Proben aus dem Simmelried gesichtet. Durch sein charakteristisches Aussehen wusste ich sofort, was ich vor mir hatte und habe umgehend Foissner davon berichtet. Interessanter Weise schrieb er mir zurück, dass er Dactylochlamys selbst noch nie gefunden hat. Dies kann man als sicheren Hinweis deuten, dass die Art offensichtlich nicht sehr verbreitet ist. Deshalb erachte ich es als Glücksfall, dass ich im Simmelried fündig geworden bin, wo die Art konstant zu finden ist und hin und wieder sogar recht häufig wird (bis zu 1 Expl./ml). So ergab sich dann die Gelegenheit die Art eingehender zu untersuchen und zu fotografieren.
In meiner Population wird Dactylochlamys pisciformis ca. 80 µm lang, obwohl Kahl eine Spanne von 80 – 120 µm angibt. Der Ciliat schwimmt langsam und rotiert dabei im Uhrzeigersinn. Selbst bei kleinen Vergrößerungen fällt das „Stachelkleid“ aus kurzen Tentakeln auf. Diese sind nur bei frei schwimmenden Exemplaren gut zu beobachten:
KV = Kontraktile Vakuole
FT = Frontallappen
OT = Öltropfen
Die prominente KV liegt auf der Grenze zum hinteren Drittel. Oft sind Öltropfen enthalten, die manchmal den gesamten Ciliaten füllen.
Die rotierende Schwimmweise rührt von Spiralrippen, welche sich gegen den Uhrzeigerin (linksdrehend) um den Körper ziehen (Pfeile), wie Penard und Kahl es auch übereinstimmend zeichnen:
In apikaler Sicht ist Dactylochlamys drehrund, wie Penard es zeichnete (s. Fig. 3, oben):
Die Cilien sind mit 20 µm sehr lang und weich. Auch die Tentakel sind nicht steif, sondern sind am Grunde biegsam und nur im oberen, distalen Ende steif. Dies liegt an den in den Tentakeln eingelagerten Extrusomen (s. unten). Dadurch zeigen die Tentakel in die unterschiedlichsten Richtungen. Zudem scheinen die Tentakel in ständiger Bewegung sein. Dies liegt jedoch an der Tätigkeit der viel Längeren Cilien. Durch ihre Bewegung werden die Tentakel mit bewegt. Bei vielen, jedoch nicht allen Exemplaren, konnte ich apikal eine transparente Frontallippe beobachten. Der Zweck dieser Lippe bleibt unklar und sie scheint auch nicht konstant zu sein. Was die früheren Autoren auch sofort festgestellt haben und die Einordnung so schwierig macht, ist die fehlende Mundöffnung. Es ist keine zu finden! Dies hat schon Kahl zu der Vermutung veranlasst, dass wir hier eine Übergangsform von den beweglichen Ciliaten zu den Suktoria sehen. Tatsächlich findet man sehr selten abgerundete Stadien (nicht durch Deckglasdruck), die offensichtlich nur noch Cilien im apikalen Bereich besitzen:
Ein solches Stadium hat Penard auch in Figur 4 seiner Abbildungen gezeichnet. Ob dies bedeutet, dass Dactylochlamys auch ein sessiles Stadium einnehmen kann, vermag ich nicht zu sagen. Auf die Verwandtschaft zu den Suktorien deutet auch die Form und Ausbildung der Tentakel hin. Ich habe schon früher versucht, diese mit Ölimmersion zu untersuchen. Bei beginnendem Deckglasdruck werden nach meiner Erfahrung die Tentakel aber dann ins Plasma zurückgezogen. Eine Zufallsbeobachtung erlaubte mir dann aber doch ganz brauchbare Aufnahmen. Wird die Schichtdicke sehr schnell verringert (Deckglas auf einen sehr kleinen Tropfen auflegen), hat der Ciliat offensichtlich keine Zeit mehr die Tentakel einzuziehen und wenn man dann sofort fotografiert, erhält man folgende Bilder:
Ma= Makronukleus
Mi? = eventuell der Mikronukleus
Insbesondere auf dem linken Bild kann man nun den Aufbau der Tentakel genauer erkennen. In jeder Tentakel ist ein 11 µm langes, stabförmiges Extrusom eingebaut. Die beiden Pfeile weisen auf die sichtbaren Enden der Extrusome. Die Schäfte der Tentakel scheinen aus Plasma zu bestehen. Am distalen Ende weisen alle Tentakel eine deutliche Verdickung auf (Pfeilköpfe), wie es auch bei den Suktorien zu finden ist. Die Tentakel sind zu ca. 80% einziehbar und die Extrusome findet man dann im Plasma eingesenkt. Es muss also einen Mechanismus geben, sie ein- und auszufahren, wie bei den Suktorien. Obwohl noch niemand Dactylochlamys pisciformis bei der Nahrungsaufnahme beobachtet hat, kann man sich vorstellen, dass er mit den Tentakeln ebenfalls andere Protozoen einfängt und diese über die Plasmatentakel aussaugt, was das Fehlen einer Mundöffnung erklären würde.
Auf der rechten Aufnahme erkennt man deutlich den runden Makronukleus. In der Mitte des Makronukleus sieht man einen Binnenkörper. Der Makronukleus unterliegt zudem einer gewissen Formvarianz. So findet man auch häufig Exemplare mit einen ovalen oder gar wurstförmigen Makronukleus (s. unten). Ein Mikronukleus wurde bei Dactylochlamys bisher nicht beschrieben. Ich glaube ihn auf 12 Uhr über dem Makronukleus zu erkennen. Um sicher zu gehen, habe ich ein zweites Exemplar isoliert, mit einem gestreckt ovalen Makronukleus:
Ma = Makronukleus
Mi = Mikronukleus
Hier kann man den sehr kleinen Mikronukleus (Durchmesser 2-3 µm) am Makronukleus angelagert erkennen. Dieses Exemplar habe ich auch genutzt, um die endoplasmatischen Bakterien genauer zu untersuchen. Es handelt sich dabei wahrscheinlich um Symbionten:
EX = Extrusome, L = 11 µm
BaK I = Bakterien Typ I, L = 5 µm
Bak II = Bakterien Typ II, L = 11 µm
Bak III = Bakterien Typ III, L = 2 µm
Ich konnte mindestens 3 verschiedene Typen von Bakterien erkennen, wobei die größten (Typ II) schwach gebogene Stäbchen sind mit einer Länge von 11 µm. Die Bakterien von Typ I bilden merkwürdige "Paare". Diese Art von Bakterien habe ich auch schon in anderen Ciliaten des Faulschlammes gesehen.
Die Beobachtung der Nahrungsaufnahme und um was für Beute es sich handelt, wird die nächste Herausforderung. Auch wurde weder eine Zellteilung noch eine Konjugation jemals beobachtet. Leider lässt sich Dactylochlamys pisciformis nicht im Mikroaquarium halten (jedenfalls bei mir nicht) und so wird man auf Zufallfunde angewiesen sein.
Viel Spass beim anschauen!
Martin
Literatur:
- Kahl, A. (1930): Urtiere oder Protozoa. I. Wimpertiere oder Ciliata (Infusoria). 1. Allgemeiner Teil und Prostomata. – Tierwelt Dtl., 18: 1–180.
- Lauterborn, R. (1901): Die sapropelische Lebewelt. Zool. Anz. 24.
- Penard, E : Études Sur Les Infusoires D'eau Douce, Genève : Georg et Cie, 1922.