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Trithigmostoma cucullulus
Verfasst: 3. April 2016, 18:12
von MartinKreutz
Liebes Forum,
hier möchte ich einen Ciliaten vorstellen, den wahrscheinlich schon jeder Tümpler gesehen hat, auch wenn er nicht wusste, dass es sich um Trithigmostoma cucullulus handelt. Die Art findet man oft in Massen auf der Kahmhaut und auf Blattoberflächen in leicht oder stark verschmutzten Gewässern. Typisch ist der nach rechts gebogen Schnabel und er ist dorso/ventral abgeflacht, also Flunder artig. Die Mundöffnung (Reuse) ist immer zum Substrat hin gerichtet. Es ist schwer, das Vieh auf den Rücken zu drehen.
Hier eine Aufnahme eines freischwimmenden Exemplares:
S = Schnabel
Presst man T. cucullulus leicht an, ergibt sich ein schöner Blick auf die (fast) unbewimperte dorsale Seite. Auch diese Art hat eine sogenannte Dorsalbürste (DB), welche in diesem Fall jedoch mit recht langen Cilien ausgestattet ist. Sie dienen als Taster. Außerdem zeigt sich ein schönes, polygonales Alveolenmuster (PAM), von dem die gesamte dorsale Seite bedeckt ist:
Verringert man die Schichtdicke weiter, bekommt man einen schönen Eindruck des Innenlebens. Der Ciliat besitzt mehrere KV's und einen MA. Der anliegende MI ist auf dem Bild unten leider nicht zu erkennen. Die Nahrung wird durch die Reuse (R) aufgenommen, welche aus 10-14 Reusenstäben besteht. Damit werden gerne Kieselalgen und Algenfäden phagocytiert. Am Rand erkennt man die polygonale Alveolenschicht (AV) im optischen Schnitt:
Im Gegensatz zur (fast) unbewimperten Rückseite, ist die ventrale Seite reich bewimpert, in einem recht komplizierten Muster, welches auch für die Zuordnung wichtig ist. Man muss zur Betrachtung der Ventralseite den Ciliaten entweder umdrehen (was wie gesagt schwierig ist), oder wie hier, einfach durchfokussieren (DIK macht's möglich). Man erkennt die nahtförmige, präorale Wimperreihe (PO) und die gebogene, circumorale Wimpernreihe, welche um die Mundöffnung herum liegt. Man erkennt auf dem Zellkörper, die kleinen, kraterförmigen Exkretionspori (EP) der KV's. Entlang den Kineten (das sind die Längslinien, auf denen die Cilien sitzen) sind wie Perlenketten die Mitochondrien (MI) aufgereiht, um für die nötige Schubenergie zu sogen.
Hier noch eine Detailaufnahme der Dorsalbürste. Es wurde auf die Basalkörper (BK) der Cilien fokussiert, die nur ca. 0,5 µm messen. Darunter erkennt man die 1-2 µm langen Mitochondrien.
Viel Spass beim anschauen und schönen Abend!
Martin Kreutz
Re: Trithigmostoma cucullulus
Verfasst: 3. April 2016, 18:44
von Monsti
Hallo Martin,
in der Tat sieht man dieses Tierchen sehr oft. Für mich ist es der "schwimmende Hausschuh", was natürlich höchst unwissenschaftlich klingt.
Deine Dokumentation ist einsame Spitze inkl. der grandiosen Fotos - vielen Dank dafür!
Ich habe regelmäßig Probleme,
Trithigmostoma cucullulus von
Nassula und vor allem
Chilodonella zu unterscheiden. Ein Anhaltspunkt war für mich bisher immer die ausgeprägte Beweglichkeit von
T. cucullulus, oder ist das kein Kriterium? Dank Deines Beitrags tue ich mich künftig wahrscheinlich leichter, zumal mir bisher auch nicht klar war, dass sich die Dorsalseite doch stark von der Ventralseite unterscheidet.
Nochmals Danke und viele Grüße
Angie
Re: Trithigmostoma cucullulus
Verfasst: 4. April 2016, 09:35
von Nostoc
Hallo Martin,
für die meisten Tümpler mag Trithigmostoma cucullulus ein „alter Bekannter“ sein, aber so wie auf deinen umwerfenden Aufnahmen hat man diesen Ciliaten
kaum jemals zu Gesicht bekommen! Du hast Dir einen unnachahmlichen Stil erarbeitet, der Ästhetik, technische und handwerkliche Finesse mit exaktem
Wissen um die biologischen Zusammenhänge vereint!
Zu Deiner Dokumentation habe ich folgende Fragen:
1) Zur Technik: Handelt es sich bei den beiden ersten Aufnahmen der dorsalen Seite (Schnabel, Dorsalbürste) um Einzelbilder (also keinen „Stitch“) ?
Bild 1 zeigt einerseits im Zellinneren gelegene Strukturen wie den Zellkern und die Reuse und andererseits die „externe“ Bürste.
Wird diese enorme „Schärfentiefe“ (bzw. die räumliche Bildwirkung) wie im Beitrag angedeutet, durch geschicktes „Anpressen“ erzeugt oder gibt
es zusätzliche technische Kniffe (Kombination von Kontrastverfahren etc. ) ?
2) Bei der Anzahl der ventralen Wimpernreihen besteht laut Literatur (Foissner, „Revision“) eine gewisse „Bandbreite“ (16-22) bei der Anzahl
der ventralen Wimpernreihen. Deine Aufnahme der ventralen Seite zeigt, wenn ich richtig gezählt habe, ca. 17 Reihen.
Liefern derartige „Zählversuche“ am lebenden, festgelegten Exemplar sinnvolle (zuverlässige) Resultate oder muss man auf Protargol-Präparate
zurückgreifen?
Beste Grüße
Richard
Re: Trithigmostoma cucullulus
Verfasst: 4. April 2016, 12:41
von WolfgangBettighofer
Moin Martin,
vielen Dank für die detailreiche Vorstellung dieses Cyrtophoriden! Brigitte und ich haben in den letzten Wochen ein großes Aquarium umgezogen, die Tiere fühlen sich schon wohl, die Pflanzen sind noch nicht ganz "angekommen", was man an der fehlenden Abwehrkraft sieht: Die meisten haben einen starken Kieselalgenüberzug. Ja, da müssen sie durch!
Für den Mikroskopiker gibt es in dieser Phase viel zu sehen. Der Mulm, der täglich von den zerfallenden Pflanzen entsteht, ist voll von Ciliaten, Rädertieren, Sonnentierchen und Nuclearien! So haben wir seit gut einer halben Woche ein Präparat mit Kieselalgen und ursprünglich einer
Frontonia leucas in der feuchten Kammer. Es macht Spaß, ihr bei der Diatomeenjagd zuzusehen. Inzwischen haben wir 8 davon unterm Deckglas. Kieselalgenfutter gib es noch reichlich ;)
Schöne Grüße von der Ostsee zum schwäbischen Meer,
Wolfgang
http://www.protisten.de
Re: Trithigmostoma cucullulus
Verfasst: 4. April 2016, 17:06
von MartinKreutz
Hallo zusammen,
vielen Dank für eure Reaktionen auf meinen Beitrag!
@Angie: Was soll ich dazu sagen? Deine Entscheidungskriterien sind etwas unspezifisch, wenn ich es mal so ausdrücken darf, wobei ich weiß, dass Dein Schwerpunkt mehr auf den Algen liegt. Aber die Schwimmgeschwindigkeit ist definiv kein Unterscheidungsmerkmal von grundverschiedenen Gattungen. Nassula ist neben vielen anderen Merkmalen drehrund. Die Unterscheidung der Cyrthophoriden, zu denen nicht nur Trithigmostoma und Chilodonella gehören, sondern z.B. auch Gastronauta, Pseudochilodonopsis, Thigmogaster, Odontochlamys usw., ist etwas defiziler, aber eigentlich noch ohne Silberimprägnierung machbar. Ich möchte Dich hier an den sehr schönen Bestimmungsschlüssel von Foissner in seiner "Revision" Band IV verweisen, den ich selbst auch benutze.
@Richard: Nein, die Aufnahmen sind nicht gestackt. Das mache ich eigentlich nie. Aber natürlich ist das Objekt schon gehörig gepresst, um auch die Auflösung zu erreichen. Dadurch rücken übereinander gelegene Strukturen natürlich auch zusammen. Geht natürlich nicht beliebig weit, bevor der Ciliat platzt. Bzgl. Kontrastverfahren, verwende ich fast ausschließlich DIK (wie bei den gezeigten Aufnahmen) und selten HF. Meine Konstellation am Mikroskop und meinen Arbeitsplatz kannst Du hier sehen:
http://www.mikro-tuemplerforum.at/viewt ... f=35&t=308
Die Zahl der Wimpernreihen (Kineten) ist bei den meisten Ciliaten variabel. In diesem speziellen Fall mag man auf die korrekte Zahl kommen, wenn man sie auf einem DIK Foto zählt, da nur die ventrale Seite bewimpert ist. Bei den drehrunden, holotrichen Ciliaten klappt dass aber schon nicht mehr. Im Zweifelsfalle also immer Silberimprägnierung!
@ Wolfgang: Längere Zeit nichts von Dir gehört! Es freut mich, Dich hier im Forum zu treffen! Werden wir denn von Deinen vielen Funden hier im Forum mal was sehen?
Martin
Re: Trithigmostoma cucullulus
Verfasst: 4. April 2016, 18:13
von Monsti
Hallo Martin,
Aber die Schwimmgeschwindigkeit ist definiv kein Unterscheidungsmerkmal von grundverschiedenen Gattungen.
Die Schwimmgeschwindigkeit war mit "Beweglichkeit" auch nicht gemeint, sondern die Flexibilität bzw. Geschmeidigkeit des Ciliaten selbst.
Außerdem scheint
T. cucullulus u.a. Kieselalgen zu fressen. Gerade habe ich wieder einige Exemplare in einer Probe gesehen, die ich heute in einem eutrophierten Tümpel am Rand des Pillerseemoors gefischt habe:
Länge: 159 µm - korrekt bestimmt?
Falls es Dich stört, dass ich das Bild in Deinen Faden gestellt habe, gib mir bitte Bescheid. Ich lösche es dann wieder. Anhand meines Fotos fällt aber der eklatante Qualitätsunterschied besonders auf ...
Viele Grüße
Angie
Re: Trithigmostoma cucullulus
Verfasst: 4. April 2016, 19:55
von MartinKreutz
Hallo Angie,
ich habe mit "fremden" Bildern in meinem thread überhaupt kein Problem. Ja, Dein Foto zeigt wahrscheinlich T. culcullulus, aber Dein Bild zeigt zu wenig Merkmale. Meiner Ansicht nach gehst Du die Bestimmung zu "bequem" an! Damit meine ich, dass Du die Möglichkeiten von Dir und Deinem Mikroskop nicht optimal nutzt. Wenn man es genau wissen will, muss man das Objekt fast immer festlegen und (zer)quetschen. Dafür ist entweder ein sauberes Präparat notwendig, das wenig Detritus enthält, oder Du isolierst die Zellen vorher mit einer Pipette. Wenn Du mal ein gequetschtes Exemplar hast, entweder zufällig gefunden oder selbst herbeigeführt, dann wirst Du sehen, dass plötzlich alles klarer zu erkennen ist und vor allem Deine Optik erstmal das liefert, für das sie geschaffen wurde. Wenn man sich dann noch etwas an einen Bestimmungsschlüssel entlang hangelt, kommt man oft zum Ziel. Ich sehe meine Mikroskopie so, dass ich versuche, aus der Kiste alles rauszuholen, was geht. Und das geht nur duch "Mensch und Machine", d.h. ich muss dem Mikroskop optimale Bedingungen schaffen (im Präparat), so dass es optimale Leistungen bringt.
Noch was ganz anderes. Wie Du richtig bemerkt hast, ist T. cucullulus meist mit Kieselalgen vollgefressen. Diese Exemplare zu untersuchen, bringt nichts. Die Kieselalgen verdecken die Sicht auf den Ma und die KV's. Besser ist hungernde Exemplare zu suchen, die keine Algen enthalten. Bei häufigen Ciliaten mache ich das so, bei seltenen muss man nehmen was kommt.
Versteh das bitte nicht als Kritik, sondern als Motivation!
Martin
Re: Trithigmostoma cucullulus
Verfasst: 4. April 2016, 20:13
von Monsti
Hallo Martin,
vermutlich verstehe ich Deinen Text genauso, wie Du ihn gemeint hast. Dafür bin ich Dir dankbar. Stimmt, ich gehe meine Untersuchungen i.d.R. ausgesprochen bequem an - damit ist logisch, dass sich die Ergebnisse wie am obigen Beispiel erkennbar präsentieren. Deinen Anspruch habe ich nicht. Ich freue mich deshalb riesig, wenn so ein Beitrag wie Deine Eingangsdokumentation kommt, die einem bei der Bestimmung sehr weiterhilft. Es ist ja nicht nur das Foto, man beobachtet ja auch eine Weile. Dabei sehe ich viel mehr als hinterher auf meinem stümperhaften Foto.
Gutenachtgrüße von
Angie
Re: Trithigmostoma cucullulus
Verfasst: 5. April 2016, 06:42
von Ole
Hallo Martin,
herzlichen Dank für den tollen Beitrag - ich freue mich sehr, dass Du hier aktiv geworden bist und bewundere die Fotos. Mir geht es bei Tümpelproben ähnlich wie Angie. Einzelne Zellen heraus zu pipettieren, um die Schichtdicke zu minimieren und dem Mikroskop die Möglichkeit zu geben optimal zu arbeiten, wage ich bisher nicht. Mir ist dieser Schritt (und seine Notwendigkeit) aus der Arbeit mit Gastrotrichen, Nematoden u.ä. Mikrometazoen gut bekannt, aber bei den Ciliaten habe ich mich daran noch nicht versucht. Deine Ergebnisse motivieren mich, dies auch mal anzugehen.
Für den Ciliaten-Laien: ich finde in meiner Ausgabe des Wassertropfens einen Ciliaten Chilodonella cucullulus, ebenfalls mit Mundreuse und gebogenem Schnabel. Ist diese Art mit Trithigmostoma cucullulus synonym?
Beste Grüße
Ole
Re: Trithigmostoma cucullulus
Verfasst: 5. April 2016, 08:10
von Nostoc
Hallo Martin,
vielen Dank für Deine Erläuterungen und die Beschreibung Deiner Ausrüstung !
Viele Grüße
Richard
Re: Trithigmostoma cucullulus
Verfasst: 5. April 2016, 09:22
von WolfgangBettighofer
Moin Martin,
ja, ich werde mich bemühen, was zu schreiben! Hatte in den letzten anderthalb Jahren recht viel zu tun ...
Beim Lesen hier im Forum in den letzten Tagen hatte ich zwei Themen gesehen, zu denen ich was beitragen kann.
Die Gepflogenheiten dieses Forums nicht kennend (wahrscheinlich zu luschig im Kleingedruckte gelesen!), hätte ich beinahe meine Beiträge mit Bild als Antworten bzw. Gesprächsbeiträge unbefangen in die Threads gepackt. Gut, dass Angie hier die Frage gestellt hat, ob Dir denn ein Beitrag mit Bild in Deinem Thread recht wäre! Dir ist es recht, aber wohl nicht jedem ...
Bei einem geht es um Chroococcus mit abnormaler Farbe, bei einem anderen um Utricularia. Na, mal gucken ...
Viele Grüße,
Wolfgang