Collotheca beim Beutefang

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Rainer
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Collotheca beim Beutefang

#1 Beitrag von Rainer » 23. September 2018, 09:52

Liebe Tümpelfreunde,

die Rädertiere der Gattung Collotheca sind wegen ihrer Größe, dem riesigen Kronentrichter mit seinen langen Wimpern und dem blitzartigen Kontrahieren im Falle einer Berührung auffällige Erscheinungen.

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Wenn ich mich recht erinnere, gab es vor einigen Jahren im Mikroforum eine Diskussion, wozu diese langen Wimperborsten genau dienen und ob sie überhaupt am Beutefang beteiligt sind, da mit ihnen ja nicht wie bei vielen anderen Räder- und Wimpertieren die Nahrung eingestrudelt wird. Sie wirken vielmehr starr und schwingen allenfalls elegant in der Wasserströmung.
Die deutsche Bezeichnung „Reusen-Rädertier“ weist wohl bereits auf eine Funktion hin: Potentielle Beuteorganismen, die sich in dieses Wimperndickicht verirren, dürften Schwierigkeiten haben, wieder hinauszufinden. Im „Wassertropfen“ wird angegeben, die Wimperborsten hätten weiterhin die Aufgabe, die Beutetiere „blitzschnell in den Fangtrichter hineinzuschleudern“.
Ich konnte vor kurzem Collotheca beim Beutefang (hier ein Ciliat) beobachten, und tatsächlich scheint es, als wären die Wimpern in dieser Weise an der Nahrungsaufnahme beteiligt. Eine kurze Sequenz soll das veranschaulichen:

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Diese Phase nochmals im Ausschnitt:

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Sicherlich dienen die Wimpern außerdem als Sinnesorgane, die bei Berührung die Annäherung eines potentiellen Opfers wahrnehmen und weiterleiten und so überhaupt erst die Kontraktion des Fangtrichters auslösen. Sehr interessant finde ich die Vermutung (ich glaube, es war im damaligen Thread Wolfgang Bettighofer), dass Collotheca zum Anlocken der Beute chemische Lockstoffe einsetzen könnte, die über die Wimpern ins Wasser abgegeben werden. Diese Idee halte ich auch für die Heliozoen überlegenswert: Mich hat immer gewundert, wie schnell und wie viele Beuteorganismen sich gewissermaßen „freiwillig“ den Sonnentieren nähern, um nach Berührung der Axiopodien und nachfolgender Lähmung von diesen verspeist zu werden.
Weiß jemand darüber etwas?

(Alle Photos am Zeiss Standard WL mit dem Plan 40x/0,65)

Herzliche Grüße
Rainer
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Rainer
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Re: Collotheca beim Beutefang

#2 Beitrag von Rainer » 29. September 2018, 08:43

Liebe Mikrofreunde,

ich möchte einen bedauerlichen Fehler in meinem obigen Beitrag richtigstellen: Die Hypothese, die langen Coronarcilien von Collotheca könnten auch der Verteilung von Attraktionsstoffen im Wasser dienen, mit denen Beuteorganismen angelockt werden, stammt nicht wie angegeben von Wolfgang Bettighofer, sondern von Michael Plewka, der seinerseits auf eine diesbezügliche wissenschaftliche Diskussion hinweist. Auch wird nicht gesagt, dass diese hypothetischen Lockstoffe über die Wimpern abgegeben, sondern möglicherweise von ihnen verteilt werden. Vgl. dazu folgenden Beitrag von Michael Plewka aus dem Jahr 2011:

https://www.mikroskopie-forum.de/index.php?topic=9135.0

Sorry für das Versehen!

Herzliche Grüße
Rainer

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Re: Collotheca beim Beutefang

#3 Beitrag von Monsti » 1. Oktober 2018, 16:44

Hallo Rainer,

vielen Dank für die schöne Fotoserie! :wicked_001:

Irgendwann hatte ich den Beutefang von Collotheca edentata verfolgt. Diese Art ernährt sich vorzugsweise von Kieselalgen, und es war eindrucksvoll zu beobachten, wie die kleinen Navicula z.T. vom anderen Ende des Deckglases zielstrebig auf die Reuse des Rädertieres zusteuerten und eine nach der anderen im Schlund verwanden. Irgendwo in meinem Archiv habe ich auch ein kleines Filmchen davon. Mal schauen, ob ich es noch finde ...

Herzliche Grüße
Angie
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Re: Collotheca beim Beutefang

#4 Beitrag von paramecium » 18. November 2018, 22:06

Hallo Rainer,

vielen Dank für den interessanten Beitrag, den ich heute wieder fand, da ich mich erinnerte, dass Du ihn hier geschrieben hattest. Ich würde gerne meine Beobachtungen und Hinweise ergänzen, wenn Du gestattest.

Gestern hatte ich bei einem Treffen der Mikroskopiker in Hagen Gelegenheit, Collotheca zum ersten Mal in einer Probe zu finden. Ich konnte einen kleinen Teil einer Probe mit nach Hause nehmen. So gelang es mir heute ebenfalls zu beobachten, wie eines dieser Rädertiere seine Beute fing. Die Axiopodien blieben dabei völlig passiv. Die Beute schwamm zufällig(?) schnurstracks auf den Mund zu und wurde dann von den inneren Wimpern eingestrudelt, welche in Deinen Aufnahmen ebenfalls zu sehen sind. Hernach versucht das Tier mit seinen Kauern die im Schlund befindliche Beute zu ergreifen und zu verschlucken.

Die Axiopodien scheinen keine empfindlichen Organe zu sein. Vorbei schwimmende Protisten lösen keinen Reiz aus. Jedoch beginnen sie bei Erschütterung zu verwirbeln, um sich kurz danach wieder zu sortieren und lang zu strecken. Sie erinnern in der Tat eher an Filopodien der Sonnentiere oder Amöben. Kürzlich fand ich einen Artikel zu den Heliozoen. Hier wird beschrieben, dass die Axiopoden im Inneren durch Microtubuli gestützt werden. Eventuell ist dies auch bei diesen Rädertieren der Fall.

Die im Schlund befindliche Beute schien in der Tat schnell passiviert worden zu sein. Ob diese lähmende Funktion von den Axiopodien ausgeht, möchte ich nach den bisherigen Beobachtungen bezweifeln.

In der "Krone", von der die Axiopodien ausgehen, fielen mir Organellen (Granula) auf, die eventuell eine ähnliche Funktion haben könnten, wie die Granula bei Climacostomum oder anderen Ciliaten. Diese enthalten bei den Ciliaten toxische Substanzen, die zur Lähmung von Fressfeinden oder Beute genutzt werden. In Deinen "DIC-Schnitten" sind diese leider nicht zu erkennen, da außerhalb der Schärfeebene. Bitte entschuldige die schlechte Qualität meiner eigenen Aufnahmen.

Auslöser für Kontraktion des Rädertieres oder Verwirbelung der Axiopodien waren vorrangig Erschütterungen durch den Auslöser der Kamera. Protisten, die hier vorbei oder hindurch schwammen schienen völlig unbeeindruckt. So zuckte das Rädertier nicht "mit der Wimper". Mir ist noch nicht wirklich klar, welche Funktion die Axiopodien wirklich haben. Etliche Protisten schwammen unbeeindruckt quer an der Reuse vorbei, ohne auch im geringsten die Richtung zu ändern. Das sieht nicht nach besonders interessanten Lockstoffen aus. Protisten haben jedoch die Tendenz, sich in einem Gewirr von Detritus auch den Weg zu bahnen. So bilden die Axiopodien (ob es Cilien sind, muss ich recherchieren) eventuell eine Art "Tunnel", in dem die Protisten dem Weg des geringsten Widerstands folgend geradewegs zum Schlund weiter schwimmen werden.

Viele Grüße

Thilo

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Re: Collotheca beim Beutefang

#5 Beitrag von paramecium » 19. November 2018, 21:12

Nachtrag: Ich fand eben noch eine Arbeit, die meine These zu den amoboiden Filamenten stützt, welche durch Microtubuli gestützt werden.

Collotheca besitzt offenbar amoeboide Zellen, auch als Amoebocyten (im Originaltext: amoebocytes) bezeichnet, die ein hochentwickeltes Netz von Filopodien ausbilden. Deren Cytoskelett wird durch ein sehr dynamisches Netzwerk von Microtubuli gestützt (vgl. S. 246, "Body cavity").

Echte Cilien können wir also ausschließen, da solche völlig anders aufgebaut sind. Ich will beim nächsten Mal versuchen, ob ich die einzelnen Zellen, von denen hier die Rede ist, und die man lichtmikroskopisch hier offenbar nicht ohne weiteres erkennt, auch sichtbar machen kann.

Literatur:
Fontaneto, Diego, and W. De Smet. "4. Rotifera." Handbook of zoology, Gastrotricha and Gnathifera (2015): 217-300.
https://www.researchgate.net/profile/Di ... 12004d.pdf

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Re: Collotheca beim Beutefang

#6 Beitrag von Monsti » 21. November 2018, 20:39

Hallo Rainer,

Deine Fotoserie ist sensationell. Collotheca konnte ich schon oft beim Beutefang und Schlucken beobachten, aber eine so schöne Serie ist mir noch nicht gelungen. Bisher hatte mich besonders C. edentata interessiert. Diese Art schafft es, in den Fressphasen Massen an Diatomeen anzulocken, die dann sehr zielstrebig in den Schlund wandern, ohne dass die Axopodien des Rädertiers eine Bewegung zeigen. Möglicherweise dienen sie vor allem der Aussendung von Botenstoffen.

Viele Grüße
Angie
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Re: Collotheca beim Beutefang

#7 Beitrag von ImperatorRex » 30. November 2018, 22:49

Toller Beitrag Rainer! Und noch dazu die tollen Fotos. Da schlägt mein Herz gleich mal ein paarmal schneller :-)

Thilo - über die von Dir erwähnten Granula habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Vielleicht sind diese Körperchen auch im Inneren des Körpers? Vielleicht sowas wie Mitochondrien? Wobei ich zugeben muss, dass ich keine Ahnung habe wie diese aussehen :-)
Nachfolgend ein paar Aufnahmen, diese zeigen auch diese besagten Granula:

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liebe Grüße
Jochen

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Re: Collotheca beim Beutefang

#8 Beitrag von ImperatorRex » 30. November 2018, 22:57

Leider sieht man auf den Fotos keine Details, daher anbei einen Ausschnitt:

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Michael
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Re: Collotheca beim Beutefang

#9 Beitrag von Michael » 1. Dezember 2018, 12:47

Hallo Jochen,

diese Granula wurde letztens von Michael Plewka in https://www.mikroskopie-forum.de/index. ... ic=32842.0 als Exkretophoren beschrieben und dienen wohl der Immunabwehr.

Viele Grüße

Michael

PS:
Jetzt beziehen sich beide Collotheca-Beiträge in einen schönen Zirkelschluss gegenseitig aufeinander - hoffentlich wirds Google jetzt nicht schwindlig!

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Re: Collotheca beim Beutefang

#10 Beitrag von paramecium » 2. Dezember 2018, 23:17

Hallo Jochen,

tolle Aufnahmen. Meine Individuen waren nicht so dicht besetzt mit diesen Organellen. Wenn ich mich nicht irre, dann haben wir hier auch verschiedene Arten zusammen getragen.

Thilo

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