Liebe Tümpler-Kollegen,
meine aus Dänemark stammenden Proben von Ende August aus einem Heidetümpel machen nach wie vor viel Freude und bieten einer Vielzahl von mikroskopisch kleinen Organismen Lebensraum. In den letzten Tagen habe ich ein interessantes bdelloides Rädertier beobachtet, das ich hier mit einigen Fotos näher dokumentieren möchte. Um es gleich vorweg zu sagen: Eine genauere taxonomische Eingrenzung kann ich nicht bieten. Aufgrund der Augenflecken im Rüssel, nicht auf dem Gehirn (Ausschluss der Gattung Philodina), der Abwesenheit von „Nahrungspillen“ (Ausschluss Habrotrochidae) und des allgemeinen Habitus gehe ich davon aus, es mit einer Rotaria-Art zu tun zu haben. Über Rückmeldungen und Korrekturen hierzu würde ich mich freuen!
Das für mich besonders interessante und von mir noch nicht beobachtete Phänomen ist, dass dieses Rädertier in ausgeprägten Wohnröhren lebt, in die es sich bei Störung tief zurückziehen kann und die manchmal, zu mehreren vereint, an ihrer Basis zusammenheften. Es drängt sich dem Beobachter der Eindruck auf, dass hier Rädertiere sekundär zum sessilen Leben übergegangen sind und damit auch typische Eigenarten sessiler Strudler, wie z.B. eine koloniale Lebensweise, annehmen. Bei den monogononten Rädertieren sind zahlreiche Gattungen bekannt, deren Vertreter in unterschiedlich gestalteten, gallertigen Wohnöhren leben, die u.a. mit selbst gedrehten „Pillen“ und anderen Partikeln verstärkt sind (u.a. Floscularia, Limnias, Ptygura). Bei den bdelloiden Rädertieren habe ich bisher jedoch lediglich Habrotrochiden in kurzen, gallertigen Wohnbauten beobachtet, die die Tiere teilweise nur an der Basis umschließen.
Die Wohnröhren der hier vorgestellten Art sind lange, teilweise gewundene Röhren, die gelegentlich zusammengewachsen erscheinen bzw. sich aus einer gemeinsamen Basis in alle Richtungen des Raumes erstrecken. Das Innere der Röhren ist von einer definierten Wandung begrenzt, der nach außen hin ein zunehmend diffus wirkender, bräunlicher Schleim aufgelagert ist, in den feine Partikel eingebettet sind. Verklumpt mit dieser Substanz sind gröbere Detritusflocken. In der rechten Teilabbildung sieht man ein Exemplar der vorgestellten Art, das in der Wohnröhre, teilweise kontrahiert, sitzt. Seine Bewegungen entlang der Röhre erinnerten mich an Cephalodella forficula, die in ähnlichen Röhren lebt.
Hier nun ein Exemplar im rädernden Zustand, das mit der Wimperkrone im freien Wasser strudelt, mit dem Fuß und Teilen des Rumpfes jedoch weiterhin in der Wohnröhre verbleibt. Das saure, nährstoffarme Wasser aus dem Heidetümpel sorgt für optisch attraktive Beifänge (hier Micrasterias thomasiana).
Eine genauere Untersuchung des Tieres bringt zumindest im nicht gepressten Zustand und ohne das Objekt zu isolieren kaum weiterer Merkmale. Immerhin erkennt man den paarigen Augenfleck im Rüssel sowie einen typischen ramaten Kauer mit beiderseits 2 Hauptzähnen. Ein zarter Schlauch im Inneren deutet ein schmales, schlauchförmiges Magenlumen an.
Zum Abschluss noch eine zusammengesetzte Aufnahme eines maximal gestreckten, rädernden Exemplars (gut 350 µm Gesamtlänge). Ich hatte bei der Aufnahme versehentlich (ungeeignete) Farbfilter nicht aus dem Beleuchtungsstrahlengang genommen und kam mit der Farbbalance bei der Bearbeitung nicht mehr zurecht. Da half nur eines – Graustufen. Im Profil fällt besonders der aufgestellte Dorsaltaster auf; der Rüssel ist ziemlich weit zurückgezogen. Auch hier erkennt man wieder ein feines Lumen, das sich durch das Tier hindurch zieht und das ich als Lumen des Magen-Darm-Traktes deute. Es wirkt zwar so, als sei es eine Rumpffalte der Epidermis, liegt aber definitiv tiefer.
Viele Grüße
Ole
Röhrenbewohnendes bdelloides Rädertier
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Re: Röhrenbewohnendes bdelloides Rädertier
Hallo Ole,
da hast Du einen spannenden Fund gemacht und diesen auch sehr schön dokumentiert. Ich habe eben Michael Plewka angeschrieben, in der Hoffnung, dass er dieses Tierchen zumindest aus der Literatur kennt. In seiner Website fand ich es nicht. Es wäre schon toll, wäre da eine Bestimmung bis zur Art drin.
Viele Grüße
Angie
da hast Du einen spannenden Fund gemacht und diesen auch sehr schön dokumentiert. Ich habe eben Michael Plewka angeschrieben, in der Hoffnung, dass er dieses Tierchen zumindest aus der Literatur kennt. In seiner Website fand ich es nicht. Es wäre schon toll, wäre da eine Bestimmung bis zur Art drin.
Viele Grüße
Angie
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Re: Röhrenbewohnendes bdelloides Rädertier
Hallo Ole,
ich werde Deines hervorragenden Beitrages erst jetzt gewahr, da Angie ihn noch mal "nach oben" geholt hat. Dieses Vieh kam mir sofort bekannt vor. Ich musste allerdings lange in meinem Archiv suchen, weil mir der Name nicht mehr einfiel. Also eine rein visuelle Suche in tausenden von Bildern und ich wurde fündig. Es könnte sich um die einzige Art der Gattung Rotaria handeln, die Röhren baut: Rotaria macroceros (Bild siehe unten). Gleich mal den email Verkehr gecheckt, wer mir da geholfen hat, denn bei den Bdelloiden bin ich völlig hilflos. Es war: Michael Plewka!
Schönen Abend!
Martin
ich werde Deines hervorragenden Beitrages erst jetzt gewahr, da Angie ihn noch mal "nach oben" geholt hat. Dieses Vieh kam mir sofort bekannt vor. Ich musste allerdings lange in meinem Archiv suchen, weil mir der Name nicht mehr einfiel. Also eine rein visuelle Suche in tausenden von Bildern und ich wurde fündig. Es könnte sich um die einzige Art der Gattung Rotaria handeln, die Röhren baut: Rotaria macroceros (Bild siehe unten). Gleich mal den email Verkehr gecheckt, wer mir da geholfen hat, denn bei den Bdelloiden bin ich völlig hilflos. Es war: Michael Plewka!
Schönen Abend!
Martin
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Re: Röhrenbewohnendes bdelloides Rädertier
@Ole: Rädertierchen, die ein derart langgestrecktes, zusammengesetztes Röhrensystem bauen, sind ein absolutes Novum für mich! Eine großartige Beobachtung und Dokumentation (vor allem die Bilder von Rotaria sp. im „Kanal“ !).
Die Tunnels scheinen deutlich länger als das ausgestreckte Rädertier zu sein. Eine einfache Streckung ("hervorschnellen") scheidet wohl aus zumal die nachgiebige Röhrenwand als Verankerungspunkt ungeeignet ist. Gleiches gilt wohl für den typischen "Raupenmodus" der Bdelloiden oder gar eine Aktivierung des Radorgans ...........
@Martin: Dein Klasse-Bild ist das krönende Sahnehäubchen zu dem von Ole präsentierten Leckerbissen!
Vielen Dank für diesen Beitrag !!
Richard
Frage: Wie muss man sich die Bewegung in der Röhre vorstellen? Wie lange dauert es, bis ca. eine Körperlänge zurückgelegt wird?Seine Bewegungen entlang der Röhre erinnerten mich an Cephalodella forficula,
Die Tunnels scheinen deutlich länger als das ausgestreckte Rädertier zu sein. Eine einfache Streckung ("hervorschnellen") scheidet wohl aus zumal die nachgiebige Röhrenwand als Verankerungspunkt ungeeignet ist. Gleiches gilt wohl für den typischen "Raupenmodus" der Bdelloiden oder gar eine Aktivierung des Radorgans ...........
@Martin: Dein Klasse-Bild ist das krönende Sahnehäubchen zu dem von Ole präsentierten Leckerbissen!
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Richard
Zuletzt geändert von Nostoc am 19. September 2016, 08:58, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Röhrenbewohnendes bdelloides Rädertier --> Rotaria sp.
Hallo Ole und Martin,
inzwischen habe ich Antwort von Michael bekommen, der diese Art auch noch nicht live gesehen hat:
"Für R. macroceros ist der Dosaltaster bei Oles Viechern m.E. zu kurz. Es könnte sich um Rotaria mento handeln, eine etwas zweifelhafte Art. Laut Beschreibung von 1889 sollte sie Augenflecken mit Linsen haben und vivipar sein. Deshalb braucht man noch ein paar Detailaufnahmen um genau bestimmen zu können."
Viele Grüße
Angie
inzwischen habe ich Antwort von Michael bekommen, der diese Art auch noch nicht live gesehen hat:
"Für R. macroceros ist der Dosaltaster bei Oles Viechern m.E. zu kurz. Es könnte sich um Rotaria mento handeln, eine etwas zweifelhafte Art. Laut Beschreibung von 1889 sollte sie Augenflecken mit Linsen haben und vivipar sein. Deshalb braucht man noch ein paar Detailaufnahmen um genau bestimmen zu können."
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Re: Röhrenbewohnendes bdelloides Rädertier
Liebe Kollegen,
herzlichen Dank für Euer Interesse an diesem bdelloiden Rädertier und Eure Bemühungen bei der Identifikation. Bei R. macroceros war ich mir auch nicht sicher, da mir der Dorsaltaster zu kurz erschien. Außerdem bewohnt "meine" Art ziemlich definierte Röhren und scheint sich in diesem Punkt von R. macroceros, die Martin auf seinem brillianten Foto im Verband dokumentiert, zu unterscheiden.
Ich war gestern nochmal am Mikroskop und habe die Tiere noch etwas beobachtet und einige weitere Fotos gemacht. Alle Fotos leiden natürlich darunter, dass die Schichtdicke ziemlich groß war, aber nur so konnte ich die Rädertiere in ihrer normalen Lebensweise, d.h. in ihren Röhren lebend, beobachten und dokumentieren. Um Michael Plewkas Verdacht nachzugehen, es könne sich eventuell um Rotaria mento handeln, werde ich nochmal versuchen, ein Exemplar stärker komprimiert im "Freien" zu fotografieren.
Besonders für Richard hier eine Studie zur für diese Art offenbar typischen Fähigkeit, innerhalb der Wohnröhren rasche Wendemanöver auszuführen. Zwischen der ersten und der letzten Aufnahme dieser Sequenz liegen wenige Sekunden. Die Tiere können im engen Raum der Wohnröhre sehr behende Wendungen um 180 Grad vollziehen. Dabei habe ich Wendungen in beide Richtungen beobachtet. Neben diesen auffälligen "Eskimorollen" bewegen sich die Tiere durch Streckung und Kontraktion im Wohnbau fort, wobei der Fuß bzw. die Zehen sich an der Wandung abstützen.
Zum Schluss noch einige Detailfotos des Räderorgans sowie der inneren Organisation. Ein Magenrohr ist auf jeden Fall vorhanden, und die Art ist vivipar (Dreiecke markieren den Kauer und die Augenflecken eines Embryonen).
Spannende Sache - viele Grüße
Ole
herzlichen Dank für Euer Interesse an diesem bdelloiden Rädertier und Eure Bemühungen bei der Identifikation. Bei R. macroceros war ich mir auch nicht sicher, da mir der Dorsaltaster zu kurz erschien. Außerdem bewohnt "meine" Art ziemlich definierte Röhren und scheint sich in diesem Punkt von R. macroceros, die Martin auf seinem brillianten Foto im Verband dokumentiert, zu unterscheiden.
Ich war gestern nochmal am Mikroskop und habe die Tiere noch etwas beobachtet und einige weitere Fotos gemacht. Alle Fotos leiden natürlich darunter, dass die Schichtdicke ziemlich groß war, aber nur so konnte ich die Rädertiere in ihrer normalen Lebensweise, d.h. in ihren Röhren lebend, beobachten und dokumentieren. Um Michael Plewkas Verdacht nachzugehen, es könne sich eventuell um Rotaria mento handeln, werde ich nochmal versuchen, ein Exemplar stärker komprimiert im "Freien" zu fotografieren.
Besonders für Richard hier eine Studie zur für diese Art offenbar typischen Fähigkeit, innerhalb der Wohnröhren rasche Wendemanöver auszuführen. Zwischen der ersten und der letzten Aufnahme dieser Sequenz liegen wenige Sekunden. Die Tiere können im engen Raum der Wohnröhre sehr behende Wendungen um 180 Grad vollziehen. Dabei habe ich Wendungen in beide Richtungen beobachtet. Neben diesen auffälligen "Eskimorollen" bewegen sich die Tiere durch Streckung und Kontraktion im Wohnbau fort, wobei der Fuß bzw. die Zehen sich an der Wandung abstützen.
Zum Schluss noch einige Detailfotos des Räderorgans sowie der inneren Organisation. Ein Magenrohr ist auf jeden Fall vorhanden, und die Art ist vivipar (Dreiecke markieren den Kauer und die Augenflecken eines Embryonen).
Spannende Sache - viele Grüße
Ole
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Re: Röhrenbewohnendes bdelloides Rädertier
Hallo Ole,
ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus !
Bei der bdelloiden Verwandtschaft Deines Rädertiers habe ich derartig "elegante", punktuelle Wendemanöver unter dem Deckglas noch nicht beobachtet.
Vielen Dank für diesen Zusatzbeitrag !
Richard
ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus !
Bei der bdelloiden Verwandtschaft Deines Rädertiers habe ich derartig "elegante", punktuelle Wendemanöver unter dem Deckglas noch nicht beobachtet.
Vielen Dank für diesen Zusatzbeitrag !
Richard