Spirostomum minus - einer von vielen?

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paramecium
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Spirostomum minus - einer von vielen?

#1 Beitrag von paramecium » 1. März 2020, 20:22

Liebe Tümpler,

Spirostomum, genauer die Art Sp. ambiguum ist vielen Liebhabern des Plankton sicherlich als "Sumpfwurm" aus dem Buch "Das Leben im Wassertropfen" bekannt. Natürlich handelt es sich nicht um einen Wurm sondern um einen recht großen Einzeller, genauer eine Art aus der Familie der Heterotichida.

Spirostomum minus ist, wie der Beiname "minus" andeutet, sozusagen der kleinere Bruder des "Sumpfwurms". Die Ähnlichkeit ist frappierend, die kleinere Größe von maximal 600-700 µm ist daher ein wichtiges Artmerkmal. Spirostomum minus ist eine der Spezies von Ciliaten für die man einen Artenkomplex annimmt. Grund hierfür ist die große morphologische Variabilität innerhalb des "Genus", welche in der Literatur diskutiert wird (siehe auch Foissner, 1991). Leider sind neuerdings einige Arbeiten zu der genetischen Einstufung veröffentlicht, ohne irgendwelche morphologischen Merkmale mit zu geben. Daher ist eine solche genetische Klassifizierung dieser "ähnlichen" Arten innerhalb des Komplexes sicherlich so fragwürdig, wie die Benennung als eine "einzelne" Art selbst. Die genetische Ähnlichkeit wird anhand eines winzigen DNA Abschnitt der ribosomalen DNA belegt (Subunit "18S" der rDNA). Gegenüber der Gesamtzahl von Basenpaaren, die verschiedene Arten von Ciliaten besitzen können, nämlich bis zu 100 Milliarden Basenpaare (Prescott, 1994), ist ein solch kleiner Genabschnitt von knapp 3.000 Basenpaaren nur ein winziger Ausschnitt des gesamten Erbguts. Bestenfalls kann dieser Genabschnitt wohl als Beleg für eine evolutionäre Entwicklung verschiedener Arten dienen. Dies kann eventuell ein weiterer Fund belegen, der einen "Sp. minus" zeigt, welcher farbig erscheint und daher und aufgrund weiterer Merkmale morphologisch von dem hier gezeigten Sp. minus abgegrenzt werden kann (ohne Abb., Publikation in Vorbereitung).

Hier möchte ich nur einige Bilder der etwa 600 µm großen Gesellen einstellen, die ich in einem Sumpf hier im Raum Köln/Bonn gefunden habe. Sie sind morphologisch ganz sicher Sp. minus zuzurechnen.

Dieser Fund ist insofern bemerkenswert, als ich nur ein einzelnes Exemplar fand, das einzeln zwischen sehr vielen(!) Sp. teres herumschwamm, einer ähnlich großen Art, die leicht zu verwechseln ist. Sp. minus hat - im Gegensatz zu Sp. teres - einen moniliformen Macronucleus. Dieser ist bereits mit geringer Vergrößerung erkennbar. So habe ich den "Wurm" unter dem Mikroskop mit einem Objektiv 5x einzeln heraus pipettiert und in Kultur gegeben, in der Hoffnung, dass er viele Nachkommen haben werde. Der kleine Kerl hatte offenbar einen ziemlichen Überlebenswillen. Gestern habe ich erste Proben aus der inzwischen dichten Kultur dem Erlenmeyerkolben entnommen und gefärbt. Das Ergebnis ist unten abgebildet. Sp. teres war einfacher zu isolieren, erfreut sich ebenfalls guter Gesundheit und bevölkert eine weitere Kultur.

Eine genaue Beschreibung der Abgrenzung von anderen Spirostomum Arten habe ich eben angelegt: Artenschlüssel von Spirostomum.

Abbildung 1: Das Peristom von Sp. minus ragt etwa bis zur Mitte der Körperlänge. Der moniliforme Macronucleus zeichnet sich, wenn auch nicht sehr deutlich bereits ab. Gut sichtbar ist die adorale Membranellenzone und die orale Bewimperung. Aufnahme im Hellfeld mit optimaler schiefer Beleuchtung. Zeiss C-Apochromat 40x/1,2 W mit Kondensor 1,2 (beiderseits Wasserimmersion).
Aufnahme in Fluoreszenz
Aufnahme in Fluoreszenz
Sp.minus-HF.jpg (214.02 KiB) 13184 mal betrachtet

Abbildung 2: Darstellung des moniliformen Macronucleus (Ma), der zahlreichen Micronuclei (Mi) und der grün gefärbten Phagosome (Ph). Am Rand sichtbar ist die pelliculäre Granula. Siehe auch Beschreibung zu Abb. 3. Fluoreszenzaufnahme mit Doppelfärbung (Ho342 + AO). Zeiss C-Apochromat 40x/1,2 W.
Aufnahme in Fluoreszenz
Aufnahme in Fluoreszenz
Sp.minus-LF-1.jpg (200.9 KiB) 13184 mal betrachtet

Abbildung 3: Gleiches Individuum wie in Abb 2, Fokuslage jedoch auf die Pellicula. Die in 2-3 Reihen verlaufende, pelliculäre Granula, welche in der Hellfeldaufnahme erkennbar ist, ist eventuell sauer, da eventuell rot gefärbt von Acridinorange. Die Granula verläuft hier in 2-3 Reihen dicht unter der Pellicula. Darunter befindet sich eine weitere Granula, eher statistisch verteilt, welche jedoch ungefärbt erscheint. Sieht man sich beide Fluoreszenzaufnahmen genauer an, so zeichnet sich die ungefärbte, grobe Granula hier durch ihren Linseneffekt und kleine ringförmige Schatten ab gegenüber den darunter liegenden, unscharf abgebildeten Organellen. Fluoreszenzaufnahme mit Doppelfärbung (Ho342 + AO). Zeiss C-Apochromat 40x/1,2 W.
Aufnahme in schiefer Beleuchtung
Aufnahme in schiefer Beleuchtung
Sp.minus-LF-2.jpg (348.37 KiB) 13184 mal betrachtet
Literatur
Boscaro, V., Carducci, et al., 2014. Focusing on genera to improve species identification: revised systematics of the ciliate Spirostomum. Protist, 165(4), 527-541.
Foissner, W. et al., 1992. Taxonomische und ökologische Revision der Ciliaten des Saprobiensystems, Informationsberichte des Bayer. Landesamts f. Wasserwirtschaft.
Prescott, D. M., 1994. The DNA of ciliated protozoa. Microbiol. Mol. Biol. Rev., 58(2), 233-267.
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Re: Spirostomum minus - einer von vielen?

#2 Beitrag von Pelagodileptus » 1. März 2020, 20:55

Hallo Thilo,

wieder ein sehr ausführlicher exzellenter Beitrag, von den man einiges lernen kann. Deine Fluoreszenzaufnahmen sind wie immer perfekt.

Mir fehlt leider immer noch der Fluoreszenzwürfel für die Ho342 Färbung in meiner Sammlung :wicked_011:

Danke Dir nochmals fürs zeigen und den tollen Beitrag!

Herzliche Grüße,
Michael
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Re: Spirostomum minus - einer von vielen?

#3 Beitrag von RalfF » 2. März 2020, 17:54

Hallo Thilo,

interessanter Beitrag, klasse Aufnahmen und ein spannendes Thema, das Du da ansprichst!

Ich frage mich auch immer wieder, ob die genetischen Unterschiede – die in z. T. recht kleinen Genabschnitten auftreten - in einigen Fällen wirklich besser geeignet sind, bestimmte Individuen von anderen artspezifisch abzugrenzen und das, obwohl sich diese durchaus paaren und auch fortpflanzungsfähige Nachkommen haben können. In anderen Fällen jedoch morphologisch völlig verschieden aussehende Individuen dennoch als einer Art zugehörig betrachtet werden.
Ich muss aber an dieser Stelle gestehen, dass ich mich mit diesem Thema nicht so beschäftigt habe, dieses wirklich beurteilen zu können.

In diesem Zusammenhang wäre es m. E. durchaus interessant, bei dieser „Spirostomum minus-Thematik“ die nachfolgende Arbeit http://www.scienceticker.info/2007/11/0 ... nungskurs/ zu beachten, die im Jahre 2007 in Bezug auf die Artbildung des Feuersalamanders angestellt wurde.
In diesem Fall wurde beobachtet, dass im Kottenforst, bei Bonn, einige Individuen ihre Larven in kleine stehende Gewässer absetzten und andere im selben Gebiet – wie bei Feuersalamandern allgemein üblich - ihre Larven in Bäche. Anhand einer genetischen Studie wurde daraufhin der Beginn einer sympatrischen (gemeinsam in einem Areal) Artbildung postuliert, also das Gegenteil der in der Vergangenheit standard- und lehrbuchmäßig verbreiteten Ansicht einer allopatrischen (allein und isoliert in einem begrenzten Areal) Artbildung.
Dieses in Bezug auf den im Gebiet möglicherweise auftretenden "Spirostomum minus-Komplex" zu untersuchen, wäre m. E. ebenfalls spannend – falls überhaupt mehr als nur eine "Spirostomum-minus-Variante" im Gebiet vorkommt!?

Gruß Ralf
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Re: Spirostomum minus - einer von vielen?

#4 Beitrag von adm_mikro_forum » 2. März 2020, 18:54

Hallo Ihr beiden,

ich stehe der Gen-Sequenzierung weniger skeptisch, als eher offen gegenüber und wünsche mir, das so ein Apparat am besten neben dem Mikroskop steht.

Vielleicht noch ein kleiner Einschub für die übrigen Mitlesenden. Nach allem was ich bisher erfahren konnte, nutzen Methoden des "Barcodings", also der Artbestimmung mit Hilfe der Gen-Sequenzierung, verschiedene Abschnitte der DNA, die man gemeinhin bei praktisch allen Arten eines Phylums für eine Klassifizierung nutzen kann. Neben dem 18S Abschnitt werden auch anderere als CO1 oder COX bezeichnete Abschnitte speziell bei Ciliaten genutzt. Gleichzeitig werden diese kurzen Abschnitte (z.B. 18S) aber auch Indikatoren einer genetischen Evolutionsstufe bei den Ciliaten diskutiert. Hierbei zählt man gerade die Heterotrichen, Ralf korrigiere mich, zu den eher frühen Evolutionsstufen der Entwicklung von Ciliaten.

Bei Pflanzen/Algen hat man es nach meinem gegenwärtigen Wissensstand erheblich schwerer gemeinsame Genabschnitte zu finden.

Artenkomplexe bei den Ciliaten werden nach dem bisher gelesenen für etliche Arten beschrieben. Ausgehend von Sonneborn, der etliche Stämme von Paramecium aurelia noch mit klassischen Kreuzungsexperimenten untersuchte, werden heute auch P. caudatum, Spirostomum Arten (auch Sp. ambiguum), Tetrahymena sowie andere monophyletische Gruppen als Artkomplexe beschrieben. Nicht nur weil sie morphologisch so ähnlich sind, sondern auch genetisch. Gegenüber den frühen Kreuzungsexperimenten von Sonneborn wurden solch umfangreiche Experimente m.W. bislang nicht in vergleichbarem Umfang bei den anderen Arten experimentell überprüft. Von daher ist das sicherlich ein guter Gedanke.

Sonneborn fand erstaunlich wenig Nachhall bei den Genetikern selbst. Hierzu fand ich auch Anmerkungen in einem entsprechenden Nachruf. Vielleicht liegt es auch daran, dass er damals, also in den 1940ern, noch den Begriff der Rassen in seinen Publikationen verarbeitete (engl. races). Später umschreibt man ähnliche Arten meist als Stämme (engl. strain) oder neuerdings auch als Kladen (clades), also monophyletische Gruppen. Ich habe den Eindruck, dass man mit der modernen Abgrenzung eines biologischen Artbegriffs gewisse Schwierigkeiten hat.

Interessant ist auch der Artikel über das Killerparamecium, bestimmte Stämme, die nach der Kopulation eines Stamms von P. aurelia andere sensible Stämme um die Ecke bringen (daher der Name). Später wurde der Einfluss von Zellpartikeln als Ursache diskutiert, sogenannten mu-Partikeln oder Kappa-Partikel, welche inzwischen wohl als bakterielle Endosymbionten identifiziert wurden, die genetisch auch weiter vererbt werden, ganz im Sinne der Mendelschen Vererbung. Merke: Traue keinem Paramecium, denn es könnte sich plötzlich als Killer erweisen. :-)

Viele Grüße

Thilo
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Re: Spirostomum minus - einer von vielen?

#5 Beitrag von Michael » 2. März 2020, 19:11

Hallo Thilo und Ralf,

bei der genetischen "Barcoding-Taxonomie" geht man von einem anderen Artbegriff aus, der nicht kompatibel mit dem gewohnten biologischen Artbegriff als Fortpflanzungsgemeinschaft (oder moderner als Genflussgemeinschaft) ist. Eine recht informative Gegenüberstellung ist hier nachzulesen:

Kunz, W. (2012). Genetische Distanz und Artabgrenzung – die Barcode-Taxonomie vertritt ihren eigenen Artbegriff. Entomologie Heute, 24, 277–286.
(Download unter http://www.kunz.hhu.de/fileadmin/redakt ... 77-286.pdf)

Welchem Artbegriff man folgt, bleibt jedem selbst überlassen. Vom "traditionellen" Standpunkt aus taugt das barcoding jedenfalls nicht, um neue Arten zu definieren sondern ist nur ein praktisches Hilfsmittel zur Artdiagnose - ansonsten schafft man eine Menge kryptischer neuer Arten. Molekularbiologen sehen das allerdings etwas anders :wicked_016: .

Viele Grüße

Michael
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Re: Spirostomum minus - einer von vielen?

#6 Beitrag von paramecium » 10. März 2020, 21:42

Hallo Michael,

vielen Dank für diesen sehr interessanten Artikel.

Ich hatte kürzlich eine Unterhaltung mit zwei Experten die sich mit Barcoding und der phylogenetischen Ordnung der Arten beschäftigen. Ich hatte sie gefragt, was sie von einem Gen Sequenzer halten, der aktuell für vergleichbar geringes Geld zu haben ist. Der US Kollege, der das Gerät in einem Projekt im Einsatz hatte, meinte interessanterweise, dass ein Nachteil dieses Sequenzers darin läge, dass er vor allem lange Genfragmente produziere und die kurzen Gensequenzen weniger seine Domäne wäre. Das Ziel dieses Geräts ist nicht nur das Barcoding, das kann er auch, sondern er bietet eher eine sehr preiswerte Möglichkeit für Whole Genom Sequencing. Ein moderner Mac oder ein vergleichbar leistungsfähiger PC mit einer dicken Festplatte reicht inzwischen um solche Gen Sequenzen zu erstellen.

Die einen schauen auf die Details, die anderen auf das große Ganze.

Gruß

Thilo

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