Liebes Forum,
heute möchte ich über den sehr seltsamen Ciliaten Dactylochlamys pisciformis berichten. Er wurde vor 116 Jahren erstmals durch Lauterborn beschrieben (s. Lit.), der dazu schrieb:
„Dactylochlamys gehört mit der Gattung Discomorpha zu den bizarrsten and auffallendsten
Infusorien, die ich kenne. Ihre systematische Stellung festzustellen, ist nicht ganz leicht.“
Leider liegt mir der Originalartikel im Zoologischen Anzeiger von 1901 nicht vor. Die Nachweise von Dactylochlamys nach der Erstbeschreibung halten sich sehr in Grenzen. So wurde er 1922 von Penard beschrieben (s. Lit.), der auch genaue Zeichnungen angefertigt hat:
Nur 8 Jahre später hat Kahl ihn auch beschrieben und gezeichnet (s. Lit.):
Nach Kahl gab es dann keine weiteren Beschreibungen mehr, die mir bekannt wären.
Ich habe Dactylochlamys pisciformis zum ersten Mal im Jahre 2000 in Proben aus dem Simmelried gesichtet. Durch sein charakteristisches Aussehen wusste ich sofort, was ich vor mir hatte und habe umgehend Foissner davon berichtet. Interessanter Weise schrieb er mir zurück, dass er Dactylochlamys selbst noch nie gefunden hat. Dies kann man als sicheren Hinweis deuten, dass die Art offensichtlich nicht sehr verbreitet ist. Deshalb erachte ich es als Glücksfall, dass ich im Simmelried fündig geworden bin, wo die Art konstant zu finden ist und hin und wieder sogar recht häufig wird (bis zu 1 Expl./ml). So ergab sich dann die Gelegenheit die Art eingehender zu untersuchen und zu fotografieren.
In meiner Population wird Dactylochlamys pisciformis ca. 80 µm lang, obwohl Kahl eine Spanne von 80 – 120 µm angibt. Der Ciliat schwimmt langsam und rotiert dabei im Uhrzeigersinn. Selbst bei kleinen Vergrößerungen fällt das „Stachelkleid“ aus kurzen Tentakeln auf. Diese sind nur bei frei schwimmenden Exemplaren gut zu beobachten:
KV = Kontraktile Vakuole
FT = Frontallappen
OT = Öltropfen
Die prominente KV liegt auf der Grenze zum hinteren Drittel. Oft sind Öltropfen enthalten, die manchmal den gesamten Ciliaten füllen.
Die rotierende Schwimmweise rührt von Spiralrippen, welche sich gegen den Uhrzeigerin (linksdrehend) um den Körper ziehen (Pfeile), wie Penard und Kahl es auch übereinstimmend zeichnen:
In apikaler Sicht ist Dactylochlamys drehrund, wie Penard es zeichnete (s. Fig. 3, oben):
Die Cilien sind mit 20 µm sehr lang und weich. Auch die Tentakel sind nicht steif, sondern sind am Grunde biegsam und nur im oberen, distalen Ende steif. Dies liegt an den in den Tentakeln eingelagerten Extrusomen (s. unten). Dadurch zeigen die Tentakel in die unterschiedlichsten Richtungen. Zudem scheinen die Tentakel in ständiger Bewegung sein. Dies liegt jedoch an der Tätigkeit der viel Längeren Cilien. Durch ihre Bewegung werden die Tentakel mit bewegt. Bei vielen, jedoch nicht allen Exemplaren, konnte ich apikal eine transparente Frontallippe beobachten. Der Zweck dieser Lippe bleibt unklar und sie scheint auch nicht konstant zu sein. Was die früheren Autoren auch sofort festgestellt haben und die Einordnung so schwierig macht, ist die fehlende Mundöffnung. Es ist keine zu finden! Dies hat schon Kahl zu der Vermutung veranlasst, dass wir hier eine Übergangsform von den beweglichen Ciliaten zu den Suktoria sehen. Tatsächlich findet man sehr selten abgerundete Stadien (nicht durch Deckglasdruck), die offensichtlich nur noch Cilien im apikalen Bereich besitzen:
Ein solches Stadium hat Penard auch in Figur 4 seiner Abbildungen gezeichnet. Ob dies bedeutet, dass Dactylochlamys auch ein sessiles Stadium einnehmen kann, vermag ich nicht zu sagen. Auf die Verwandtschaft zu den Suktorien deutet auch die Form und Ausbildung der Tentakel hin. Ich habe schon früher versucht, diese mit Ölimmersion zu untersuchen. Bei beginnendem Deckglasdruck werden nach meiner Erfahrung die Tentakel aber dann ins Plasma zurückgezogen. Eine Zufallsbeobachtung erlaubte mir dann aber doch ganz brauchbare Aufnahmen. Wird die Schichtdicke sehr schnell verringert (Deckglas auf einen sehr kleinen Tropfen auflegen), hat der Ciliat offensichtlich keine Zeit mehr die Tentakel einzuziehen und wenn man dann sofort fotografiert, erhält man folgende Bilder:
Ma= Makronukleus
Mi? = eventuell der Mikronukleus
Insbesondere auf dem linken Bild kann man nun den Aufbau der Tentakel genauer erkennen. In jeder Tentakel ist ein 11 µm langes, stabförmiges Extrusom eingebaut. Die beiden Pfeile weisen auf die sichtbaren Enden der Extrusome. Die Schäfte der Tentakel scheinen aus Plasma zu bestehen. Am distalen Ende weisen alle Tentakel eine deutliche Verdickung auf (Pfeilköpfe), wie es auch bei den Suktorien zu finden ist. Die Tentakel sind zu ca. 80% einziehbar und die Extrusome findet man dann im Plasma eingesenkt. Es muss also einen Mechanismus geben, sie ein- und auszufahren, wie bei den Suktorien. Obwohl noch niemand Dactylochlamys pisciformis bei der Nahrungsaufnahme beobachtet hat, kann man sich vorstellen, dass er mit den Tentakeln ebenfalls andere Protozoen einfängt und diese über die Plasmatentakel aussaugt, was das Fehlen einer Mundöffnung erklären würde.
Auf der rechten Aufnahme erkennt man deutlich den runden Makronukleus. In der Mitte des Makronukleus sieht man einen Binnenkörper. Der Makronukleus unterliegt zudem einer gewissen Formvarianz. So findet man auch häufig Exemplare mit einen ovalen oder gar wurstförmigen Makronukleus (s. unten). Ein Mikronukleus wurde bei Dactylochlamys bisher nicht beschrieben. Ich glaube ihn auf 12 Uhr über dem Makronukleus zu erkennen. Um sicher zu gehen, habe ich ein zweites Exemplar isoliert, mit einem gestreckt ovalen Makronukleus:
Ma = Makronukleus
Mi = Mikronukleus
Hier kann man den sehr kleinen Mikronukleus (Durchmesser 2-3 µm) am Makronukleus angelagert erkennen. Dieses Exemplar habe ich auch genutzt, um die endoplasmatischen Bakterien genauer zu untersuchen. Es handelt sich dabei wahrscheinlich um Symbionten:
EX = Extrusome, L = 11 µm
BaK I = Bakterien Typ I, L = 5 µm
Bak II = Bakterien Typ II, L = 11 µm
Bak III = Bakterien Typ III, L = 2 µm
Ich konnte mindestens 3 verschiedene Typen von Bakterien erkennen, wobei die größten (Typ II) schwach gebogene Stäbchen sind mit einer Länge von 11 µm. Die Bakterien von Typ I bilden merkwürdige "Paare". Diese Art von Bakterien habe ich auch schon in anderen Ciliaten des Faulschlammes gesehen.
Die Beobachtung der Nahrungsaufnahme und um was für Beute es sich handelt, wird die nächste Herausforderung. Auch wurde weder eine Zellteilung noch eine Konjugation jemals beobachtet. Leider lässt sich Dactylochlamys pisciformis nicht im Mikroaquarium halten (jedenfalls bei mir nicht) und so wird man auf Zufallfunde angewiesen sein.
Viel Spass beim anschauen!
Martin
Literatur:
- Kahl, A. (1930): Urtiere oder Protozoa. I. Wimpertiere oder Ciliata (Infusoria). 1. Allgemeiner Teil und Prostomata. – Tierwelt Dtl., 18: 1–180.
- Lauterborn, R. (1901): Die sapropelische Lebewelt. Zool. Anz. 24.
- Penard, E : Études Sur Les Infusoires D'eau Douce, Genève : Georg et Cie, 1922.
Dactylochlamys pisciformis
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Dactylochlamys pisciformis
Zuletzt geändert von MartinKreutz am 20. Januar 2017, 21:22, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Dactylochlamys pisciformis
Lieber Martin,
vielen Dank für's zeigen! Wieder einmal tolle Aufnahmen.
Ich bin zuversichtlich, dass Beharrlichkeit bezüglich Teilungsvorgängen und Konjugation zum Ziel führt. Mir fallen solche immer öfter auf bei Arten, bei denen ich diese noch nie beobachten konnte. Früher hatte ich weniger Glück. Erfahrung wird wohl belohnt.
Viele Grüße
Thilo
vielen Dank für's zeigen! Wieder einmal tolle Aufnahmen.
Ich bin zuversichtlich, dass Beharrlichkeit bezüglich Teilungsvorgängen und Konjugation zum Ziel führt. Mir fallen solche immer öfter auf bei Arten, bei denen ich diese noch nie beobachten konnte. Früher hatte ich weniger Glück. Erfahrung wird wohl belohnt.
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Thilo
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Re: Dactylochlamys pisciformis
Hallo Martin,
vielen Dank für das Zeigen Deiner spannenden Untersuchungen.
Der Zoologische Anzeiger 24 mit der Orginalveröffentlichung von Lauterborn kann unter https://archive.org/details/zoologischeranze24deut heruntergeladen werden. Der Beitrag beginnt mit Seite 50.
Hast Du mal versucht, den Ciliaten mit Methylgrün zu färben? Selbst wenn er dabei desintegrieren sollte, müsste der Mikronukleus so deutlich sichtbar sein.
Viele Grüße
Michael
vielen Dank für das Zeigen Deiner spannenden Untersuchungen.
Der Zoologische Anzeiger 24 mit der Orginalveröffentlichung von Lauterborn kann unter https://archive.org/details/zoologischeranze24deut heruntergeladen werden. Der Beitrag beginnt mit Seite 50.
Hast Du mal versucht, den Ciliaten mit Methylgrün zu färben? Selbst wenn er dabei desintegrieren sollte, müsste der Mikronukleus so deutlich sichtbar sein.
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Re: Dactylochlamys pisciformis
Hallo Michael,
vielen Dank für den link zum "Anzeiger". Seltsamer Weise wurde mit von Google diese Seite nicht angezeigt, als ich nach "Lauterborn Dactylochlamys" suchte.
Mit Farbstoffen arbeite ich überhaupt nicht, auch weil ich keine Laborumgebung habe. Eigentlich bin ich mit DIK ganz gut weitergekommen, wenn man den Mikronukleus aufspüren möchte. Manche Fälle (wieder dieser) sind jedoch hartnäckig, weil der Brechungsindex des Mikronukleus niedrig sein kann und dann nicht mehr sauber vom umgebenden Plasma getrennt wird. Dann muss man weitere Exemplare untersuchen, in denen der Mi kondensierter vorliegt. Dies habe ich heute für Dactylochlamys nachgeholt und meinen Beitrag entsprechend ergänzt. Außerdem habe ich noch die symbiontischen Bakterien in dem Vieh untersucht. Die sind jedoch praktisch in allen Faulschlammciliaten vertreten (z.B. Metopus, Saprodinium oder Discomorphella) und es war daher zu erwarten, dass Dactylochlamys auch welche besitzt.
Martin
vielen Dank für den link zum "Anzeiger". Seltsamer Weise wurde mit von Google diese Seite nicht angezeigt, als ich nach "Lauterborn Dactylochlamys" suchte.
Mit Farbstoffen arbeite ich überhaupt nicht, auch weil ich keine Laborumgebung habe. Eigentlich bin ich mit DIK ganz gut weitergekommen, wenn man den Mikronukleus aufspüren möchte. Manche Fälle (wieder dieser) sind jedoch hartnäckig, weil der Brechungsindex des Mikronukleus niedrig sein kann und dann nicht mehr sauber vom umgebenden Plasma getrennt wird. Dann muss man weitere Exemplare untersuchen, in denen der Mi kondensierter vorliegt. Dies habe ich heute für Dactylochlamys nachgeholt und meinen Beitrag entsprechend ergänzt. Außerdem habe ich noch die symbiontischen Bakterien in dem Vieh untersucht. Die sind jedoch praktisch in allen Faulschlammciliaten vertreten (z.B. Metopus, Saprodinium oder Discomorphella) und es war daher zu erwarten, dass Dactylochlamys auch welche besitzt.
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Re: Dactylochlamys pisciformis
Hallo Martin,
was den geringen Brechungsindex des Mikronucleus angeht, hatte ich kürzlich ähnliche Erfahrungen hier zu Vorticella eingestellt.
Ja, das ist lustig, welche Erfahrungen man im Netz so macht.
Die auf archive.org abgelegten Dokumente sind gescannt und mit einer automatischen OCR eingelesen. Ich habe einmal monatelang nach einem Originalartikel zur Behandlung von Paramecium mit Acridinorange von O. Raab (1900) gegoogelt. Ich kam darauf, weil der Artikel in sehr vielen wissenschaftliche Arbeiten zur Phototherapie im Zusammenhang mit dem Acridinorange zitiert wird. Also musste er doch irgendwo zu finden sein. Ich fand jedoch den Artikel nicht ohne weiteres und eine Zeit lang war nur ein arg verstümmelter Plaintext auf archive.org verfügbar. Deutsche Umlaute kann archive.org sowieso nicht. Irgendwann setzte Google rein zufällig sinnvolle Wortfragmente der Scans in der Suchanfrage zusammen und führte mich sodann auf den Downloadlink zum Scan.
Interessanterweise fand ich beim Lesen des gescannten Originalartikels aus der "Zeitschrift für Biologie" heraus, dass Oscar Raabs Arbeit grundsätzlich falsch zitiert wird. Denn er hantierte nicht mit Acridinorange, sondern mit der Grundsubstanz Acridin, welches erst die abgebildete chemische Formel im Scan ergab.
Was man findet, sollte man grundsätzlich sofort herunterladen und archivieren. Ich habe die rund 500 Dokumente, die ich in den letzten vier Jahren mit Mühe fand und las, in einem Softwareverwaltungssystem auf einem eigenen Rechner gespeichert und archiviert. Später kann es wieder nicht auffindbar sein.
Viele Grüße
Thilo
was den geringen Brechungsindex des Mikronucleus angeht, hatte ich kürzlich ähnliche Erfahrungen hier zu Vorticella eingestellt.
Ja, das ist lustig, welche Erfahrungen man im Netz so macht.
Die auf archive.org abgelegten Dokumente sind gescannt und mit einer automatischen OCR eingelesen. Ich habe einmal monatelang nach einem Originalartikel zur Behandlung von Paramecium mit Acridinorange von O. Raab (1900) gegoogelt. Ich kam darauf, weil der Artikel in sehr vielen wissenschaftliche Arbeiten zur Phototherapie im Zusammenhang mit dem Acridinorange zitiert wird. Also musste er doch irgendwo zu finden sein. Ich fand jedoch den Artikel nicht ohne weiteres und eine Zeit lang war nur ein arg verstümmelter Plaintext auf archive.org verfügbar. Deutsche Umlaute kann archive.org sowieso nicht. Irgendwann setzte Google rein zufällig sinnvolle Wortfragmente der Scans in der Suchanfrage zusammen und führte mich sodann auf den Downloadlink zum Scan.
Interessanterweise fand ich beim Lesen des gescannten Originalartikels aus der "Zeitschrift für Biologie" heraus, dass Oscar Raabs Arbeit grundsätzlich falsch zitiert wird. Denn er hantierte nicht mit Acridinorange, sondern mit der Grundsubstanz Acridin, welches erst die abgebildete chemische Formel im Scan ergab.
Was man findet, sollte man grundsätzlich sofort herunterladen und archivieren. Ich habe die rund 500 Dokumente, die ich in den letzten vier Jahren mit Mühe fand und las, in einem Softwareverwaltungssystem auf einem eigenen Rechner gespeichert und archiviert. Später kann es wieder nicht auffindbar sein.
Viele Grüße
Thilo
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Re: Dactylochlamys pisciformis
Hallo,
Diesen Beitrag habe ich fast verpasst! Dactylochlamys ist ja ein super interessanter Ciliat. TEM Schnitte müsste man haben!
Niemandens Phantasie reicht an das Einfallsreichtum der Natur heran!
Herzliche Grüße
Eckhard
Diesen Beitrag habe ich fast verpasst! Dactylochlamys ist ja ein super interessanter Ciliat. TEM Schnitte müsste man haben!
Niemandens Phantasie reicht an das Einfallsreichtum der Natur heran!
Herzliche Grüße
Eckhard