2 Gastrotrichen vom Nordsee-Strand

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Ole
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2 Gastrotrichen vom Nordsee-Strand

#1 Beitrag von Ole » 2. September 2016, 10:39

Liebe Forumsteilnehmer,

dies ist zwar ein Forum für Tümpler und damit Süßwasserkundler – dennoch stelle ich hier mal einige Fotos von marinen Gastrotrichen ein, die aus dem Sandlückensystem der dänischen Nordseeküste stammen (Mittel- bis Grobsand, bei Ebbe flache, feuchte, gerade nicht mehr mit Wasser bedeckte Sandflächen). Es handelt sich mit ziemlicher Sicherheit um die Arten Halichaetonotus schromi und Halichaetonotus pleuracanthus. Die Gattung Chaetonotus ist den meisten Tümplern aus dem Süßwasser vertraut. Neben den Süßwasservertretern gibt es jedoch auch Arten dieser Gattung, die im marinen Bereich leben. Die Gattung Halichaetonotus ist systematisch eng mit Chaetonotus verwandt, die Verwandtschaftsbeziehungen im einzelnen sind aber nicht sicher geklärt. Das auffälligste Merkmal aller Arten von Halichaetonotus sind besonders ausgebildete Rumpfstacheln mit einer mehr oder weniger stark entwickelten Lamelle entlang des Stachels. Über die Funktion der Lamelle als flächige Erweiterung des Stachels ist mir nichts Näheres bekannt – über eine Erhöhung des Fraßschutzes bis hin zur Verbesserung der hydrodynamischen Eigenschaften des Gastrotrichenkörpers sind allerlei Spekulationen möglich, wenn auch müßig, sofern nicht experimentell gestützt.

Ich möchte im Folgenden die beiden Arten H. schromi und H. pleuracanthus mit einigen Bildern vorstellen und gleichzeitig zeigen, was das einfache Hellfeldmikroskop, im Einzelfall unterstützt durch Phasenkontrast, leistet – ohne DIK, dessen Vorzüge natürlich auch bei der Dokumentation der Gastrotrichen unbestritten sind. Alle Aufnahmen habe ich am Olympus BH-2 mit der Original-Kameraanpassung aus der analogen OM-Ära erstellt. Als Projektiv verwende ich das NFK 2,5x, das für das Kleinbildformat bestimmt war, mit einem modernen APSC-Sensor jedoch einen deutlichen Verlust an fotografisch nutzbarem Feld mit sich bringt. Folgende Objektive habe ich verwendet: Olympus SPlan 40/0,70; Olympus SPlan Apo 60/1,4 und Zeiss Plan Apo 40/1,0. Aus ästhetisch-puristischen Gründen gefällt mir gelegentlich die Graustufendarstellung sehr gut – auch, da dann die bei den recht einfachen SPlan-Objektiven vorhandenen Restfarbfehler nicht sichtbar werden.

Bild

H. schromi ist ein vergleichsweise kleiner, gedrungen wirkender Gastrotrich (um 160 µm inkl. Zehen bei meinem Exemplar), der in der Petrischale zwischen den Sandkörnern nur bei genauem Hinschauen auffällt. Er scheint eine recht weite Verbreitung und geringe Ansprüche an die Salzkonzentrationen zu haben – ich habe ihn auch schon an der deutschen Ostseeküste im mesohalinen Bereich gefunden. Er zeigt den typischen Habitus eines Chaetonotus, weicht von den limnischen Chaetonotiden aber durch den Besitz der ventro-lateralen Lamellenstacheln sowie der elliptisch-rundlichen Dorsalschuppen mit medianem Kiel ab.

Bild

Die obigen drei Teilabbildungen zeigen unterschiedliche Aspekte von H. schromi. Links sieht man ein von ventral fotografiertes Exemplar, bei dem die Schärfe so gewählt wurde, dass von den kompliziert gebauten Lamellenstacheln möglichst viel auf einem Bild sichtbar wird. Insbesondere die linke Flanke des Gastrotrichen lässt diese Spezialstacheln, bei denen der zentrale Schaft von einer zarten Lamelle erweitert wird, erkennen. Die Lamellenstacheln entspringen rundlichen Basisschuppen, von denen ich einige markiert habe. Die mittlere Teilabbildung verdeutlicht das ausgeprägte Schuppenkleid der Dorsalseite. Jede Kielschuppe weist neben dem medianen Kiel zarte Querrunzeln auf, die sehr charakteristisch für H. schromi sind. Auf der rechten Teilabbildung sieht man das ventrale Zwischenfeld mit den caudalen Terminalplatten (große, langgestreckte Schuppen zwischen den Ansätzen der Zehen) und Kielschuppen, die kopfwärts kleiner und rundlicher werden. Michael hatte in seinem interessanten Beitrag zur Mikroskopie von Gastrotrichen unlängst diese Strukturen erwähnt, um die es bei der Bestimmung der Arten häufig geht, die aber – insbesondere bei Exemplaren, die dem Beobachter den Rücken zukehren – schwer sichtbar sind. DIK hilft dann manchmal, aber es bleibt kompliziert.

Bild

Dieser Gastrotrich ist der mit H. schromi nahe verwandte H. pleuracanthus. Der Phasenkontrast (linke Teilabbildung) verdeutlicht die Lamelle der Lamellenstacheln, die – anders als bei H. schromi – nur ca. 2/3 der Länge des Stachelschaftes erreicht. Die gekielten Dorsalschuppen (Mitte) sind länglicher und weisen keine Querrunzeln auf. Die Struktur des ventralen Zwischenfeldes (rechts) ist mit den zarten Kielschuppen ähnlich wie bei H. schromi. Dieses Exemplar lag übrigens mit der Bauchseite vom Objektiv abgewandt – man erkennt sofort die Grenzen der Dokumentationsmöglichkeit feiner Strukturen bei so einem Präparat.

Viele Grüße

Ole
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Re: 2 Gastrotrichen vom Nordsee-Strand

#2 Beitrag von Nostoc » 2. September 2016, 16:03

Hallo Ole,
wieder einmal ein toller Beitrag aus Deiner Feder !
Die relevanten Details sind auch ohne DIC wunderbar klar erkennbar!
Er scheint eine recht weite Verbreitung und geringe Ansprüche an die Salzkonzentrationen zu haben
Frage:
Ist der Körper der Gastrotrichen per se stabil gegen Schwankungen des osmotischen Drucks ("Panzer") oder findet durch eine Art "Nierenfunktion" ein Ausgleich des Salz- bzw. Wasserhaushaltes statt ? Anders ausgedrückt: Was passiert, wenn man die oben erwähnte "unempfindliche" Art vom Salzwasser ins Süßwasser umsetzt? Hält H. schromi zumindest äußerlich dem Druck stand?
Beste Grüße

Richard

Ole
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Re: 2 Gastrotrichen vom Nordsee-Strand

#3 Beitrag von Ole » 2. September 2016, 17:12

Hallo Richard,

vielen Dank für Deine Kommentare und schön, mal wieder von Dir hier etwas zu lesen.

Zu Deiner Frage: Ja, alle Gastrotrichen haben osmo-regulatorische Organe, die so genannten Protonephridien, deren Funktion in vielerlei Hinsicht der der Wirbeltierniere entspricht. Man kann sie sich als schlauchförmige Einstülpungen der Epidermis denken, die gegen die Leibeshöhle blind geschlossen sind. Dort sitzt eine Terminalzelle - wie bei den Protonephridien der Rotatorien die "Wimperflamme" -, deren undulierende Cilien einen Flüssigkeitsstrom durch den Kanalbereich des Protonephridiums hin zur Außenwelt erzeugen. Die Terminalzelle weist feine Spalträume auf, die über eine feine extrazalluläre Matrix, einem molekularen Maschenwerk, mit der Leibeshöhle in Kontakt stehen. Wenn nun die Cilienflamme (i.d.R. sind mehrere Cilien zu einer funktionellen Einheit verschmolzen) schlägt, resultiert daraus ein Unterdruck, der Flüssigkeit aus der Leibeshöhle in das Lumen des Protonephridiums saugt. An der extrazellulären Matrix und über die Spalten der Terminalzelle findet dabei die Ultrafiltration statt. Es wird also - analog zu unserer Niere - ein Primärharn erzeugt, der durch Rückresorption in den ausführenden Gängen - proximale und distale Tubuli in der Vertebratenniere! - modifiziert wird.

Vermutlich kann H. schromi über die Tätigkeit seiner Protonephridien relativ gut den Salzgehalt seines inneren Milieus an die Außenwelt anpassen bzw. effektiv eindringendes Wasser herauspumpen. Irgend wann kommt aber sicherlich der Punkt, an dem der physiologisch mögliche Bereich überschritten wird. Wenn der Salzgehalt dann weiter abnimmt, versagt die Osmoregulation und der Organismus stirbt. Platzen wird der Gastrotrich vermutlich nicht, da der starre Schuppenpanzer wohl nur sehr begrenzt dehnungsfähig ist.

Viele Grüße

Ole

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Re: 2 Gastrotrichen vom Nordsee-Strand

#4 Beitrag von MartinKreutz » 2. September 2016, 19:13

Hallo Ole,

mal wieder eine einwandfreie Vorstellung von zwei Gastrotrichen, die ich gerne anschaue und lesen, auch wenn ich mit Salzwasser Viechern weniger zu tun habe. Die Darstellung der Schuppen ist Dir sehr gut gelungen! Besonders gefällt mir die mittlere Aufnahme der zweiten Reihe Bildern, wo man sehr schön die von Dir beschriebenen "zarten Querrunzeln" erkennen kann.

Ich möchte hier noch was zum Protonephridium beitragen, ohne Deinen Beitrag verwässern zu wollen. Das von Dir beschriebene Protonephridium ist ja praktisch in allen niederen Tieren vorhanden. Für die Leser, die es noch nicht gesehen haben, hier ein Foto des Protonephridiums von Asplanchna priodonta. Das Foto gehört nicht zu meinen Glanzleistungen, zeigt aber alle Merkmale des Protonephridiums:

Bild

Man erkennt deutlich die Terminalzellen (TZ), welche mit zwei Plasmafäden (PF) an der Körperwand des Rädertieres befestigt sind (es sind keine Geißeln). Nach innen, zum Flimmerkanal (FK) hin gerichtet, schlägt unaufhörlich eine Wimpernfahne (WF). Damit erzeugt die Terminalzelle einen Flüssigkeitsdruck, der dem osmotischen Druck entgegengesetzt ist. Dadurch können gelöste Stoffe aus der Leibeshöhle durch die Terminalzelle treten und durch den Flimmerkanal an die Harnblase abgeführt werden. Wenn ich richtig informiert bin, funktioniert unsere Säugerniere genauso, wenn auch mit ein paar mehr Terminalzellen.

An den Gastrotrichen ist das Protonephridium nicht so leicht zu beobachten, aber bei Asplanchna liegt es völlig frei in der Leibenhöhle, weshalb dies ein hervorragendes Untersuchungsobjekt ist.

Martin
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Ole
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Re: 2 Gastrotrichen vom Nordsee-Strand

#5 Beitrag von Ole » 2. September 2016, 22:55

Hallo Martin,

besten Dank für Deine Ergänzung und die Totalansicht eines Protonephridiums bei Asplanchna. Ja, die Protonephridien bei Rotatorien liegen oft sehr frei zugänglich in der Leibeshöhle und sind damit gut zu untersuchen. Bei Gastrotrichen ist das nicht so, da die Organisation der Gastrotrichen viel kompakter ist und eine Leibeshöhle gar nicht richtig auftritt bzw. sie weitgehend mit Muskulatur, Binde- und Nervengewebe erfüllt ist.

Ich habe noch einmal tief in meinen Dateien geschaut und eine alte Ultrastrukturarbeit herausgesucht. Damals hatten wir die Ultrastruktur des Protonephridiums dreier dicranophorider Rotatorien untersucht und die Ergebnisse phylogenetisch bewertet. Hier einmal ein Querschnitt durch das Terminalorgan bei Dicranophorus forcipatus (Lh: Leibeshöhle, Epd: Epidermis, Kds: Keimdotterstock, Mv: Mikrovilli, Ci: Cilien, Zst: Zytoplasmastab, ECM: extracelluläre Matrix), Ultradünnschnitt und Transmissionselektronenmikroskopie:

Bild

Zentral ist die extrazelluläre Matrix, die als Filtrationsbarriere fungiert. Mikrovilli stützen das Lumen des Terminalorgans und stabilisieren es. Die Zytoplasmastäbe stellen Anschnitte des Zytoplasmas der Terminalzelle dar, die Längsschlitze aufweist, durch die das Ultrafiltrat in das Lumen des Terminalorgans gelangt. Dieser Bereich ist der eigentliche Filterkomplex des Protonephridiums.

In der schematischen Rekonstruktion sieht das Ganze so aus - in der rechten Teilabbildung das Terminalorgan in Aufsicht, links perspektivisch geöffnet. Die linke Teilabbildung zeigt schematische Querschnitte entlang der Schnittebenen a, b und c. An das Terminalorgan schließt sich distalwärts der Flimmerkanal "sensu Kreutz" an.

Bild
aus: Riemann O, Ahlrichs W (2010). Acta Zoologica 91(2), 199-211

Viele Grüße

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Re: 2 Gastrotrichen vom Nordsee-Strand

#6 Beitrag von Michael » 3. September 2016, 08:32

Hallo Ole,
wie jedesmal freue ich mich über Deinen schönen und lehrreichen Beitrag. Es ist erstaunlich, wie sich Süß- und Salzwasserarten äüßerlich gleichen.
Für Deine Ausführungen zu den Protonephridien möchte ich mich ebenfalls bedanken. Sie haben meine verschwommene Vorstellung über Ihre Funktion auf eine festere Basis gestellt.
Wenn ich Dich recht verstehe, steht der Ausführungskanal nur über die Terminalzelle in Verbindung mit dem Inneren der Gastrotrichen. Was ist denn dann der Grund für die verknäulten Schlingen des Kanals?

Vielen Dank für Deinen Beitrag

Michael

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Re: 2 Gastrotrichen vom Nordsee-Strand

#7 Beitrag von Nostoc » 3. September 2016, 09:32

@Ole@Martin
Danke für den Hinweis auf Rädertiere bzw. allgemein niedere Tiere, bei denen man die für die Osmoregulation verantwortlichen Organe besser beobachten kann als bei den Gastrotricha. Diese übergreifende Analogie ist mir bisher entgangen. Faszinierend, dass die Funktionsweise unserer Nieren (Stichwort: Primärharn) an die Protonephridien erinnert. Bei den Wirbeltieren (Fische) gibt es bekanntlich nur wenige Arten, die beide Lebensräume (Süßwasser-Salzwasser, vice versa) zumindest zeitweise bewohnen können (Aale, Lachse, einige Hai-Arten ……..). Von Planktonbewohnern (auch Ciliaten, Einzeller ohne Protonephridien) liest man häufiger „kommt auch im Salzwasser vor“, aber die indirekten Erklärungen z.B. bei Koste (nach Remane) verraten nichts über die physiologischen Hintergründe dieser Anpassungsleistung.
Wunderbar, dass Eure Zusatzbeiträge hier Licht ins Dunkel bringen !

Hut ab und vielen Dank !


Richard

Anbei zwei Aufnahmen von Protonephridien des Rädertiers Tetrasiphon hydrocora:

Bild

Bild

Ole
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Re: 2 Gastrotrichen vom Nordsee-Strand

#8 Beitrag von Ole » 4. September 2016, 11:36

... @Richard: fantastisch, Deine Aufnahmen des Terminalorgans von Tetrasiphon hydrocora (die ich bisher nie gefunden habe!) führen schon fast in ultrastrukturelle Dimensionen. Die feinen Stäbe, die distal zusammen geneigt erscheinen, interpretiere ich als Mikrovilli der Terminalzelle. In der anderen Ansicht hast Du auch schön den undulierenden Schlag der Wimperflamme erwischt. Super!

...@Michael: ja, der Flüssigkeitseinstrom in den Ausführgang der Protonephridien erfolgt über den Filterapparat im Terminalorgan. Der oft aufgewundene Gang dient vermutlich der Modifikation des Primärharns. Und hier gilt wie auch bei der Wirbeltierniere, dass z.B eine Rückresorption von Wasser und damit die Produktion des definitiven Harns umso besser funktioniert, je länger die Strecke, entlang derer diese Modifikation erfolgen kann.

Viele Grüße

Ole

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Re: 2 Gastrotrichen vom Nordsee-Strand

#9 Beitrag von Nostoc » 5. September 2016, 11:26

Hallo Ole,
vielen Dank für die Interpretation der Aufnahmen !
Einen Beitrag zu Tetrasiphon mit Zusatzbildern zu den "Nieren" habe ich hier im Forum eingestellt: => http://www.mikro-tuemplerforum.at/viewt ... f=46&t=465

Beste Grüße


Richard

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