Ein interessanter Bauchhärling aus dem Simmelried - Chaetonotus simrothi

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Michael
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Ein interessanter Bauchhärling aus dem Simmelried - Chaetonotus simrothi

#1 Beitrag von Michael » 19. März 2020, 11:07

Hallo in die Runde,

bei der diesjährigen Kornrade in Würzburg war Martin Kreutz so nett, mir einige Proben aus seinem Lieblingsgebiet Simmelried zu überlassen. Aus solchen Proben fertigte ich einige Mikroaquarien (https://www.mikroskopie-forum.de/index. ... ic=33985.0), in denen dann nach einigen Tage - zusätzlich zu den bereits vorhandenen Tieren - die zufällig eingebrachten Gastrotrichen-Eier schlüpften. So erhält man relativ einfach einen Überblick über die Gastrotrichen-Fauna eines Habitats.
Eines dieser Mikroaquarien aus einer Schlammprobe erwies sich als besonders reich besetzt und ich konnte gleichzeitig folgende acht Bauchhärling-Arten beobachten:

Chaetonotus simrothi
Chaetonotus insigniformis
Chaetonotus heteracantus
Chaetonotus persetosus
Chaetonotus cf. larus
Lepidodermella squamata
Ichthydium fossae
Aspidiophorus cf. schilzensis


Den größten dieser Gastrotrichen, Chaetonotus simrothi VOIGT, 1909, möchte ich hier etwas genauer vorstellen.

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Bild 1: Ch. simrothi; Überblick

Mit einer Länge von ca. 440µm ist Ch simrothi einer der größten Süsswasser-Bauchhärlinge und ist deshalb nahezu unverkennbar. Charakteristisch ist der "hammerartige", eckige Kopf und die über den gesamten Körper nahezu gleichbleibende Breite. Die Rückenseite des Tiers ist mit gleichmäßigen, langen Stacheln besetzt. Wegen der - für Bauchhärlinge - riesigen Größe kann man nur mit schwachen Objektiven (hier 25x) einen Überblick über das Gesamttier gewinnen. Auf der anderen Seite erlaubt die Größe des Tieres, anatomische Einzelheiten genauer zu studieren, als das bei den "durchschnittlichen" Gastrotrichen möglich ist.
Deshalb möchte ich Euch einige Details dieser interessanten Tiere genauer vorstellen. Beginnen wir mit der äußeren Hülle der Tiere, dem Schuppenkleid.

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Bild 2: Ch. simrothi; Überblick über die Rückenschuppen

Legt man den Fokus auf den dorsalen Schuppenverband, wird deutlich, dass die Einzelschuppen jeweils mit ihren Nachbarn überlappen und einen geschlossenen - aber dennoch flexible - Schutzpanzer bilden. Die Stacheln der grob fünfeckigen Schuppen sind in Bild 2 z. T. angeschnitten. So wird deutlich, dass die Stacheln der Einzelschuppen hohl sind.

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Bild 3: Ch. simrothi; Schuppen der Bauchseite

Im ventralen Zwischenfeld - dem Bereich zwischen den beiden Zilienreihen auf der Bauchseite - erkennt man ca. 14 Reihen rundlich erscheinender, kleiner Schuppen mit einem kurzen Stachel. Obwohl diese Befunde recht gut mit den Angaben aus der Literatur übereinstimmen (Schwank 1990), wollte ich die Schuppenformen etwas genauer untersuchen und habe eine Schuppenanalyse (https://www.mikroskopie-forum.de/index. ... ic=33957.0) durchgeführt und ein Dauerpräparat aus den abgelösten Schuppen erstellt.

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Bild 4: Ch. simrothi; Übersicht abgelöster Schuppen

Obwohl in der Literatur für Kopf und Hals des Tieres runde Schuppen angegeben werden, konnte ich solch Schuppen nicht finden. Alle dorsalen Schuppen waren
grob fünfeckig mit abgerundeten Ecken. Die Hinterseite der Schuppe besitzt einen V-förmigen Einschnitt, von dessen Ende die hohle, stark nach hinten gebogene Stachel entspringt. Diese Form deckt sich mit den Literaturangaben für die Rückenschuppen.

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Bild 5: Ch. simrothi; dorsale Schuppe

Bei den kleinen Bauchschuppen im ventralen Zwischenfeld zeigt sich der Wert einer solchen Schuppenanalyse. Sowohl in der Literatur als auch im optischen Bild vom Schuppenverband (Bild 3) erscheinen die Schuppen als rund.

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Bild 6: Ch. simrothi; Schuppen des ventralen Zwischenfeldes

Abweichend zu diesem Eindruck erkennt man bei den abgelösten Schuppen, dass ihre Form länglich mit einem distalen Ausschnitt ist. Lediglich die Vorderkante ist rund. Durch die Überlappung im Schuppenverband ist lediglich diese runde Vorderkante zu erkennen und spiegelt daher eine falsche Schuppenform vor.D ie Abweichungen zu den Literaturangaben ist wohl der notorisch großen Variabilität der Gastrotrichenarten geschuldet und sollte durch Untersuchungen aus anderen Habitaten bestätigt werden.

An der vorderen Bauchseite des Tieres liegt der verschließbare Mund.

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Bild 7: Ch. simrothi; Mund und Hypostomion

Man erkennt, dass der Mund durch lamellenarteige Mundstacheln nahezu vollständig geschlossen wird. Diese Mundstacheln können zur Nahrungsaufnahme ausgeklappt und die Mundhöhle dadurch stark erweitert werden. Hinter dem Mund liegt eine starke kutikularisierte Spange, das sog. Hypostomium.

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Bild 8: Ch. simrothi; geöffneter Mund

Unterhalb der Schuppen liegt die Haut der Tiere, die bei ausgewachsenen Tiere durch eingelagerte, goldbraune Körper gemustert erscheint. Da diese Einlagerungen bei Jungtieren noch nicht vorhanden sind, gehe ich davon aus, dass sie erst im Laufe des Lebens bei älteren Tieren erworben werden. Möglicherweise handelt es sich dabei um Exkretprodukte, die sich im Laufe der Zeit in den Hautzellen ablagern.

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Bild 9: Ch. simrothi; Kopfdrüse und gefärbte Einlagerungen

Ähnliche Verfärbungen sind meines Wissens in der Literatur für Süsswasser-Gastrotrichen noch nicht beschrieben worden. Ich selbst habe ähnliche Ablagerungen nur bei sehr alten Gastrotrichen am Ende ihres Lebens in der Zwitter-Phase (postpathenogenetischen Phase) gefunden:

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Bild 10: Ichthydium fossae; Verfärbungen bei Alttieren in der postparthenogenetischen Phase (zum Vergleich)

Bei Jungtieren sind diese gefärbten Einlagerungen noch nicht vorhanden und erlauben daher einen ungehörteren Einblick in die Kopfanatomie:

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Bild 11: Ch. simrothi; Kopfdrüse bei einem Jungtier

Einzigartig bei Ch. simrothi scheint die deutlich sichtbare Kopfdrüse unbekannter Funktion zu sein. Leider konnte ich nicht erkennen, ob der Ausführungsgang in den Pharynx oder nach außen mündet. Bei den von mir untersuchten Tieren war - entgegen der Literaturangaben - nur eine einzige, asymmetrische Drüse vorhanden.

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Bild 12: Ch. simrothi; Zähne

Eine weitere Besonderheit bei Ch. simrothi sind die beiden Zähne in der Mundhöhle des Tieres. Es gibt nur wenige Gastrotrichen-Arten bei denen solche Zähne nachgewiesen sind (z. B. bei Aspidiophorus suamulosus https://www.mikroskopie-forum.de/index. ... ic=32162.0).

Bei einem etwas gequetschten Tier kann - dank der Körpergröße - das Exkrtetionssystem der Bauchhärlinge genauer studiert werden:

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Bild 13: Ch. simrothi; Protonephridien

Wie alle Süsswassertiere müssen Gastrotrichen dem ständig durch Osmose eindringenden Wasser und dem dadurch steigendem Innendruck entgegenwirken. Dazu besitzen sie sog. Protonephridien, die aus einer bewimperten Zelle bestehen, die ständig Wasser aus dem Körperinneren in einen langen und vielfach gewundenen Ausführungsgang pumpen. Diese "Wimpernflammen" konnte ich leider fotografisch nicht abbilden. In Bild 13 ist der Ausführungsgang beidseitig des Darms der Tiere gut zu erkennen. In diesem Gang wird wohl der Primärharn aufbereitet und "nützliche" Bestandteile ausgefiltert. Die beiden Gänge münden dann an der Bauchseite neben den Zilienbänder ins Freie.

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Bild 14: Ch. simrothi; Ei

Die Tiere fühlten (und fühlen sich immer noch) sich im meinem Mikroaquarium recht wohl und vermehren sich fleißig. Eigentlich hatte ich vor, die Embryonalentwicklung der Tiere in einem Zeitraffer-Film zu dokumentieren, habe aber die Aufnahme nach einer Woche abgebrochen. Die Entwicklung verläuft äußerst langsam und die Tiere schlüpfen erst ca. 14 Tage der Eiablage. Dies ist die längste Entwicklungszeit, die ich jemals bei Gastrotrichen beobachtet habe - ansonsten beträgt die Zeit bis zum Schlupf etwa 2 bis 4 Tage. Ob diese Verlängerung der Entwicklungszeit nur der Größe der Tiere geschuldet ist, vermag ich nicht zu beurteilen.

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Bild 15: Ch. simrothi; Jungtier

Bereits nach dem Schlupf haben die Tiere eine beeindruckende Größe. Das Wachstum erfolgt - wie bei Bauchhärlingen üblich - lediglich im Darmbereich. Kopf und Hinterleib sind bereits beim Schlupf ausgewachsen.

Ich hoffe, Euch durch diesen langen Bericht nicht zu sehr gelangweilt zu haben. Aber ich dachte, dass wir alle in Zeiten der Krise genügend Zeit haben, unserem notorisch einsamen Hobby etwas mehr zu frönen als sonst.

In diesem Sinne - bleibt gesund,

Michael


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Literatur:

Schwank, P. (1990) Gastrotricha. In: Schwoerbel, J. & Zwick, P. (eds), Süsswasserfauna von Mitteleuropa, Band 3.Gastrotricha und Nemertini. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart, Jena, New York, 252 pp.
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Re: Ein interessanter Bauchhärling aus dem Simmelried - Chaetonotus simrothi

#2 Beitrag von paramecium » 19. März 2020, 22:51

Lieber Michael,

ich freue mich, dass Ihr beiden Euch mit Proben austauscht und Du uns aus dieser Kooperation diese neuen Bauchhärlinge vorstellen kannst. Andererseits finde ich schade, dass Martin seine Beiträge hier nicht mehr beschreibt. Mehr davon...!

Von meiner Seite sei angemerkt: Von Langeweile kann doch gar keine Rede sein. Danke für diese detailreichen Einsichten!

Nach meinen eigenen Beobachtungen scheint heuer biologisch einiges los zu sein. Was auch daran liegt, dass die Regenfälle nach einem langen, heißen Sommer offenbar ergiebig genug sind, auch verloren geglaubte, neue Arten wieder ans Licht zu fördern. Überraschenderweise auch an neuen Orten.

Bleib gesund.

Thilo
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