Eiablage, Embryogenese und Schlupf eines Gastrotrichen

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Michael
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Eiablage, Embryogenese und Schlupf eines Gastrotrichen

#1 Beitrag von Michael » 3. August 2017, 09:54

Hallo Freunde des Tümpels,

in einem meiner Mikroaquarien konnte ich die Entwicklung eines Geleges von Chaetonotus elegans beobachten. Wie bereits in einem früherem Beitrag ( http://www.mikro-tuemplerforum.at/viewt ... f=46&t=584) gezeigt, werden die parthenogenetischen - also unbefruchteten - Eier dieser Gastrotrichen-Art in leere Wasserfloh-Schalen abgelegt. Das Gelege wird von mehreren Tieren gemeinsam genutzt - eine erstaunliche soziale Leistung, die ich diesen mikroskopischen Tiere nicht zugetraut habe.
Als ich das Gelege erstmals beobachtete, waren zwei Eier vorhanden, von denen eines praktisch voll entwickelt war. Leider konnte ich diesen Zustand nicht fotografieren. Als ich die Eier am nächsten Tag kontrollierte, war ein Ei bereits geschlüpft:

Bild
Bild 1: Ch. elegans, Gelege

Während der Beobachtungen, die sich über einige Tage hinzogen, wurden noch zwei weitere Eier abgelegt und das Tier im bereits vorhandenem Ei schlüpfte. Eine dieser Eiablagen und den Schlupf konnte ich dokumentieren. Die Entwicklung der Eier habe ich - soweit möglich - verfolgt, da ich die selten dokumentierte Embryonalentwicklung bei Gastrotrichen beobachten wollte. Leider wurde das Ei, dessen Ablage ich beobachtet hatte und dessen Legezeitpunkt deshalb bekannt war, von einer Amöbe verspeist:

Bild
Bild 2: Ch. elegans, Amöbe frisst Ei

Mir war nicht bekannt, dass die Eier eine Beute von Amöben werden können, da die Eier an einer Stelle mit dem Subastrat verklebt sind. Die Amöbe musste deshalb auch über 10 min an dem Ei zerren. Letztlich gab die Verklebung mit einem Ruck nach, und die Amöbe konnte das Ei aus dem Gelege herausziehen. Danach kugelte sich die Amöbe ab und verdaute das Ei über mehrere Stunden. Der Embryo des Gastrotrichen bewegte sich noch etwa eine halbe Stunde lang. Offensichtlich war es nicht einfach, die stabile Eischale zu durchdringen.
Wegen diese Vorfalls war es nicht möglich, die gesamte Embryogenese an einem Ei zu verfolgen. Da noch ein etwas weniger entwickeltes Ei im Gelege vorhanden war, versuchte ich die Beobachtungslücke mit diesem Ei zu füllen, dessen Schlupf ich nicht beobachten konnte. Durch diesen Bruch in den Beobachtungsbedingungen sind die Zeitangaben bei der späteren Eientwicklung leider ungenau.
Im folgenden habe ich die Beobachtungen von insgesamt 3 Eiern in der richtigen zeitliche Reihenfolge zusammengestellt:

* Eiablage und Embryogenese von Ei 3, bis zum Ende als Beute der Amöbe
* Weitere Entwicklung von Ei 4 bis kurz vor dem Schlupf
* Schlupf von Ei 2

Das Gelege wurde immer wieder von unterschiedlichen Gastrotrichen besucht. Einer der Besucher war ein Exemplar, dass ein bereits sehr weit entwickeltes Ei trug, und das die Wasserfloh-Schale genau untersuchte:

Bild
Bild 3: Ch. elegans, tragendes Weibchen im Gelege

Nach der Inspektion hatte sich das Tier eine gute Stelle ausgesucht und legte das Ei ab:

Bild
Bild 4: Ch. elegans, Eiablage

Das Muttertier krümmte sich und riss am Rücken zwischen zwei Schuppenreihen auf. Der Riss war sehr viel kleiner als das relativ große Ei. Das noch weiche Ei trat aus und hatte dabei die Gestalt einer Sanduhr. Wenige Sekunden später war die gesamte Eimasse ausgetreten und das Ei haftete noch etwas unförmig am Substrat. Die Mutter erholte sich innerhalb weniger Minuten und verlies das Gelege.

Bild
Bild 5: Ch. elegans, frühe Embryogenese; Zeitangaben: Zeit seit Ovidisposition

Wenige Minuten nach der Eiablage hatte sich das Ei abgerundet und eine feste Schale ausgebildet. Der Zellkern, der sich kurz nach der Ablage aufgelöst hatte, kondensierte wieder und bereits ca. 1 Stunde nach der Eiablage war die Kernmembran wieder vollständig ausgebildet. Im Gegensatz zu dem (mutmaßlich) befruchteten Ei aus Beitrag http://www.mikro-tuemplerforum.at/viewt ... f=46&t=587 war kein Nukleolus vorhanden. Vielleicht ist das ein Kennzeichen für eine Befruchtung?
Vor der ersten Teilung löste sich die Kernmembran wiederum auf - das Kernmaterial wurde wohl auf die beiden zukünftigen Zellen verteilt. Die erste (transverse und adequale) Teilung erfolgte etwa 1,5h nach Eiablage (Bild 5C). Die zweite Teilung erfolgte (leicht asynchron) in einer Ebene senkrecht zur ersten Teilung (Bild 5F). Die beiden dabei entstehenden Blastomer-Paare verschoben sich gegeneinander um 90 Grad, so dass die weitere Entwicklung spiralig erfolgte.
Die weiter Entwicklung erfolgte analog der in [1] beschriebenen Embryonalgenes für L. sqammata. Lediglich die Entwicklungszeit von Ch. elegans war um einiges größer als die von Sacks für L. sqammata angegebene.

Bild
Bild 6: Ch. elegans, späte Embryogenese; Zeitangaben: Zeit seit Ovidisposition

Etwa 50 Stunden nach der Eiablage war das Tier bereits vollständig zu erkennen (Bild 6G). Etwa um diese Zeit begannen die Bewegungen des Pharynx des Embryos. Etwas später bewegte sich das gesamte Tier von Zeit zu Zeit. Zilienbewegung war wahrzunehmen und manchmal drehte sich der Embryo in der Eischale um 180 Grad. Diese Phase hielt ca. 1 Tag an, bis das Tier immer unruhiger wurde. Schließlich schlüpfte der Gastrotrich.
Bei der leeren Eischale in Bild 6I ist die Verklebung des Eies mit dem Substrat links unten gut zu erkennen. Bei den Süßwasser-Gastrotrichen ist nur eine Klebestelle vorhanden.

Bild
Bild 7: Ch. elegans, Schlupf

Zum Schlupf drehte das reife Tier die Stirnseite zur Eischale (Bild 7B). Mit der scharfen Unterkante des Kopfschildes (Kephalion) raspelte der Gastrotrich die innere Schale ab (Bild 7C-D) und durchbrach endlich die nun elastische Eischale (Bild 7E). Die Eischale wurde dann zügig verlassen. Der gesamte Vorgang dauerte etwa 1 min.

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Bild 8: Ch. elegans, Verlassen des Geleges

Das juvenile Tier suchte sofort aktiv den Ausgang der Wasserfloh-Schale und verlies sie schließlich.

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Bild 9: Ch. elegans, Jungtier

Der junge Gastrotrich gleicht - bis auf die Länge des Darmes - bereits den erwachsenen Tieren.
Bei Gastrotrichen vergisst man leicht (zumindest geht es mir so), wie klein diese stark differenzierten, vielzellige Tiere sind. Unwillkürlich erinnern sie an kleine "Ohrwürmer". Bild 9 gibt deshalb einen Vergleich mit der Größe eines einzelligen Augenflagellat (wahrscheinlich L. acus).

Abschließend möchte ich nochmal folgende Punkte, die ich in der Literatur nicht gefunden habe, hervorheben:

* Bei Ch. elegans werden die (parthenogenetischen) Eier unterschiedlicher Individuen in einem gemeinsamen Gelege abgelegt.
* Die Eier können Beute von Amöben werden und werden wohl deswegen geschützt in leeren Wasserfloh-Schalen abgelegt.
* Unbefruchtete und befruchtete Eier unterscheiden sich durch einen deutlichen Nukleolus in den befruchteten Eiern.
* Die Öffnung der Eischale beim Schlupf erfolgt durch die spitze Kante des Kephalions



Viel Spaß beim Anschauen

Michael

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Literatur:
1 Sacks,M. 1955. Observations on the embriology of an aquatic gastrotrich Lepidodermella squammata (Dujardin, 1841). J. Morphol. 96: 473-495
(Download: http://booksc.org/book/1557582/7916b5)
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Re: Eiablage, Embryogenese und Schlupf eines Gastrotrichen

#2 Beitrag von Ole » 17. August 2017, 20:26

Hallo Michael,

ich komme erst jetzt dazu, Deinen Beitrag genauer anzuschauen - wirklich toll, was Du mit Geduld und einem ausgeprägten Händchen für diese winzigen Tiere dokumentieren konntest. Ich habe noch nie mit Mikroaquarien über längere Zeiträume gearbeitet, hierbei sind offenbar beeindruckende Beobachtungen möglich!

Vielen Dank und schöne Grüße

Ole

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Re: Eiablage, Embryogenese und Schlupf eines Gastrotrichen

#3 Beitrag von Michael » 20. August 2017, 08:11

Hallo Ole,

ich freue mich sehr, dass mein Beitrag von Interesse für Dich war.
Mikroaquarien sind die einzige Möglichkeit, die zeitliche Entwicklung von Vorgängen zu beobachten. Auch kehren die Tiere nach einigen Stunden zu Ihren natürlichen Verhaltensweisen zurück, während sie bei einer "normalen" Präparation unter zunehmendem Stress leiden und selten ganz "entspannt" beobachtet werden können. Leider leidet die Photoqualität bei dieser Präparation.

Durch die Mikroaquarien konnte ich inzwischen fast den ganzen Lebensweg von Gastrotrichen beobachten. Lediglich die Ei-Befruchtung in der post-parthenogenetischen Phase (so sie denn erfolgt) ist mir bis jetzt entgangen.

In diesem Zusammenhang eine Frage in die Runde:
In einem früherem Beitrag habe ich die Eiablage bei einem Tier in der post-parthenogenetischen (Zwitter-) Phase - ebenfalls bei Ch. elegans - gezeigt. Das dabei produzierte (mutmaßlich befruchtete) Ei weist einen ausgeprägten Nukleolus auf:

Bild

Dieser Nukleolus ist bei den unbefruchteten Eiern oben nicht vorhanden. Offensichtlich ist das Kernmaterial unterschiedlich organisiert.

Ist das ein Hinweis auf eine Befruchtung? Kennt jemand entsprechende Literatur?

Neugierige Grüße,

Michael

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