Eiablage eines Gastrotrichen in der "Zwitterphase"

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Michael
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Eiablage eines Gastrotrichen in der "Zwitterphase"

#1 Beitrag von Michael » 22. Juni 2017, 18:46

Hallo in die Runde,

Gastrotrichen entwickeln sich im Laufe ihres Lebens zu Zwittern. In dieser sog. post-parthenogenetischen Phase (ppP) wird das X-Organ, dessen funktion noch unbekannt ist, und Spermapakete gebildet. Man nimmt an, dass in dieser Phase eine gegenseitige Befruchtung zur Entwicklung von überlebensfähigen Eiern notwendig ist. Diese Befruchtung und die Eiablage von entwicklungsfähigen Eiern wurde meines Wissens in Kulturen noch nie beobachtet. Eine detaillierte Beschreibung der Entwicklung von Gastrotrichen ist unter http://www.mikro-tuemplerforum.at/viewt ... f=46&t=487 zu finden.
In einem meiner Mikroaquarien konnte ich beobachten, dass einer der Gastrotrichen (Ch. elegans) in die ppP eintrat und ein X-Organ entwickelte. Wegen der Einschränkungen bei dieser Präparation waren Spermapakete nicht zu erkennen.

Bild
Bild 1: Ch. elegans, post-parthenogenetische Phase; Pfeile: X-Organ

Nach einigen Tage hatte sich ein reifes Ei entwickelt. Ich hatte das Glück, die Eiablage verfolgen zu können:
Das Tier heftete sich mit dem Kopf am Substrat fest. Nach einigen Krümmungen riss das Tier an der Bauchseite zwischen den beiden Globen des X-Organs auf und das Ei trat am X-Organ vorbei aus. Bei einer "normalen" Eiablage reißt das Tier am Rücken auf, um das Ei abzulegen. Dabei werden keine wichtigen Organe verletzt und das Tier erholt sich wieder. Bei der vorliegenden ventralen Eiablage wurde aber der Darm verletzt, so dass ich mir nicht vorstellen kann, das das Tier eine solche Verletzung überleben würde. Wenn meine Beobachtung nicht zufällig eine missglückte Eiablage war, könnte man spekulieren, ob das Vorbeiführen des Eis an dem X-Organ zur erfolgreichen Eiablage nötig war und den Tod des Tieres rechtfertigte.
Durch die Eiablage trat Körperflüssigkeit aus, die einige Coleps anlockte.

Bild
Bild 2: Ch. elegans, post-parthenogenetische Phase: Eiablage; Pfeil: X-Organ

Innerhalb kürzester Zeit wurde das Muttertier von den Coleps getötet und verspeist.

Bild
Bild 3: Ch. elegans: Tod des Muttertieres

Die Entwicklung des Eies könnte ich noch über 4 Tage verfolgen. Die Entwicklung des Eies scheint normal verlaufen zu sein. Am 4. Tag fand ich das Ei leer vor. Ich gehe davon aus, das das Tier normal geschlüpft ist.

Bild
Bild 4: Eientwicklung; zwischen dem ersten und dem letzten Bild liegen 4 Tage


Ob diese Einzelbeobachtung wirklich einen Hinweis auf die Fortpflanzung von Gastrotrichen in der ppP gibt, kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls glaube ich, dass die geduldige Beobachtung der Tiere in einem Mikroaquarium interessante Einsichten in das Verhalten der Gastrotrichen bietet.

Viele Grüße

Michael
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MartinKreutz
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Re: Eiablage eines Gastrotrichen in der "Zwitterphase"

#2 Beitrag von MartinKreutz » 22. Juni 2017, 20:15

Hallo Michael,

eine super Dokumentation von einem unglaublichen Vorgang, wie ich ihn selber leider noch nie beobachten konnte. Meinen Glückwunsch zu Deiner Ausdauer und den tollen Bildern!

Verstehe ich richtig, dass das dorsal liegende Ei auf der Ventralseite den Körper verlässt, in dem dort die Cuticula aufreißt? Hört sich schon ziemlich verwegen an, inbesondere, wenn dass den Tod des Muttertieres zur Folge hat. Wenn das so wäre, dann gäbe es doch nur eine 1:1 Fortpflanzung? D.h. jeder Gastrotrich kann in seinem Leben nur 1 Nachkommen zeugen. Durch den normalen Schwund durch Fressfeinde würde eine solche Vermehrungsstrategie, meiner Ansicht nach, zum baldigen Auslöschen der Population führen?

Wenn dieses X-Organ in der Lage sein soll Spermien zu erzeugen, ist es dann möglich, dass das Ei während seiner Passage zur Ventralseite durch die X-Organe befruchtet wird? Ich selbst habe die X-Organe auch noch nie selbst bewusst wahrgenommen. Muss ich auch mal nachholen!

Martin
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Re: Eiablage eines Gastrotrichen in der "Zwitterphase"

#3 Beitrag von Michael » 23. Juni 2017, 07:00

Hallo Martin,
die typische Entwicklung eines Gastrotrichen läuft folgendermaßen ab:
Nach dem Schlüpfen wächst das Tier einige Tage bis zur vollen Größe heran. Dann legt das Tier meist 4 unbefruchtete, parthenogenetische Eier im Abstand von ca. 1 Tag ab. Diese Eier, die dorsal direkt unter der Cuticula liegen, verlassen das Tier durch einen Riss am Rücken, so dass keine wichtigen Organe verletzt werden. Das Tier erholt sich (meist) wieder vollständig von der Prozedur. Ältere Tiere schauen aber oft ein wenig "derangiert" aus. Diese Eiablage ist in der Literatur gut dokumentiert und oft beschrieben.
Jetzt beginnt der Umbau zum Zwitter. Einige Eizellen beginnen sich zu teilen und das X-Organ wird beidseitig des Enddarms gebildet. Dabei handelt es sich im wesentlichen um zwei sekretgefüllte Zysten, deren Zweck unbekannt ist. Ob dieses X-Organ eine Verbindung nach Außen hat, ist nicht bekannt. Im einem meiner letzten Beiträge (http://www.mikro-tuemplerforum.at/viewt ... f=46&t=575) glaubte ich, einen Ausführungsgang erahnen zu können. Gleichzeitig bildet sich in separaten Zysten beidseitig des Vorderdarm Spermienpakete, deren Spermien unbeweglich sind und deren Funktionalität deshalb angezweifelt wird. Auch eine weitere Eizelle reift zu einem Ei heran.
Soweit ist dies der Stand der Erkenntnis. Wie die Entwicklung / Fortpflanzung der Gastrotrichen weitergeht, ist nicht bekannt. Man hat Tiere in der ppP isoliert und festgestellt, dass diese Tiere nicht zur Eiablage kommen bzw. abgelegte Eier sich nicht entwickeln. Daraus hat man geschlossen, dass eine Selbstbefruchtung nicht vorkommt. Weiter hat man ppP-Tiere in einer Kultur beobachtet um Informationen über die weitere Fortpflanzung zu gewinnen. Auch diese Tiere haben keine lebensfähigen Eier abgelegt. Man geht davon aus, dass die Tiere genetisch unterschiedliche Sexualpartner benötigen, die in einer Kultur nicht zu Verfügung stehen. Soweit ich weiß, wurden keine Versuche im natürlichen Habitat durchgeführt. Die oben dokumentierte Eiablage ist also eine Einzelbeobachtung, deren Relevanz nicht einzuschätzen ist.
Als Amateur spekuliert es sich natürlich trefflich und unbeschwert - und mehr als eine Spekulation kann das folgende aufgrund von einer Zufallsbeobachtung nicht sein:
Vielleicht wurde Sperma mit einem anderen Tier ausgetauscht und in den Globen des X-Organs gespeichert.
Vielleicht reifte das Ei dann in Ruhe bis zur Eiablage heran
Vielleicht wurde das Ei dann in einem finalen Akt (das Alter des Tieres ist bereits sehr hoch!) an den X-Körpern vorbei ventral abgelegt. Dabei werden die X-Körper ausgepresst und es kommt zu einer Befruchtung. Das Muttertier verstirbt, das Ei entwickelt sich normal.
Vielleicht war es aber auch ganz anders und ich habe lediglich einen Unfall eines senilen Gastrotrichen dokumentiert, der es nicht auf die Reihe gebracht hat, das Ei in die richtige Richtung zu pressen.

Jedenfalls bietet die obige Beobachtung eine Menge Stoff für eine Diskussion, über die ich mich freuen würde.

Viele Grüße

Michael

MartinKreutz
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Re: Eiablage eines Gastrotrichen in der "Zwitterphase"

#4 Beitrag von MartinKreutz » 25. Juni 2017, 20:12

Hallo Michael,

vielen Dank für diese aufschlussreichen Erläuterungen. Wie ich sehe, sind bei den Gastrotrichen ja noch viele Fragen offen. Dies ist bei meinem Beobachtungschwerpunkt (den Ciliaten) auch so. Gerade bei den Lebensformen, die nur durch ein Mikroskop zu beobachten sind und wo man oft auf punktuelle Zufallsfunde angewiesen ist, findet man meistens eine sehr dünne Datenlage. Lass Dir versichert sein, dass die Beobachtungen von "Amateuren" deshalb umso wichtiger sind. Ich mag den Begriff Amateur eigentlich überhaupt nicht. Nur weil man keinen akademischen Titel trägt, heißt dies nicht, dass man weniger genau beobachtet. Ich finde es als "Amateuer" aber immer recht schwieirig, oder sogar unmöglich, seine Beobachtungen mitzuteilen. Umso wichtiger finde ich es, diese Funde mal im Internet zu zeigen.

Ich bin immer noch dabei einen Gastrotrichen mit X-Organen zu finden, was mir bisher nicht gelungen ist. Wie häufig (oder selten) findet man die denn?

Martin

Michael
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Re: Eiablage eines Gastrotrichen in der "Zwitterphase"

#5 Beitrag von Michael » 26. Juni 2017, 09:33

Hallo Martin,

ja, bei Gastrotichen sind noch eine ganze Menge Fragen offen - ein Grund, warum ich die Beschäftigung mit diesen Tieren so spannend finde.
Solange der Begriff "Amateur" nicht abwertend gebraucht wird, habe ich damit kein Problem. Im Gegenteil - ich glaube, dass Amateure und Profis viel voneinander profitieren könnten. Ein Profi in der "publish-or-perish-Tretmühle" wird kaum die Zeit finden, sich stundenlang vors Mikroskop zu setzen und das Leben eines einzelnen Gastrotrichen zu verfolgen. Da sind andere, meist apparativ aufwändige Themen weit wichtiger, die dem Amateur nicht zugänglich sind. Gerade die geduldige und geschickte Beobachtung und Dokumentation zeichnet aber den Amateur aus. Ich teile aber Deine Einschätzung, dass es recht schwierig ist, Beobachtungen mitzuteilen. Aber vielleicht liest ja der ein oder andere Profi mit?

Die Häufigkeit von Gastrotrichen mit X-Organ ist gerade so eine Frage, die von Profis nur schwer zu beantworten ist. Für Laborkulturen findet man Häufigkeitsangaben von bis zu 20%. Als ich im zeitigen Frühjahr systematischer meinen Gartenteich durchforstet habe, bin ich auch etwa auf diese Größenordnung gekommen. Gegen Sommer hin nahm diese Häufigkeit aber ab und zur Zeit finde ich - bei dutzenden Beobachtungen im dicht besiedelten Detritus - nahezu keine Exemplare mehr in der ppP. Für mich scheint es so, als ob es hier jahreszeitliche Schwankungen gäbe. Aber lt. Literatur ist die Entwicklung des X-Organs für jedes Individuum zwangsläufig, wenn es das richtige Alter erreicht. Die Häufigkeit sollte also keinen Schwankungen unterliegen - es sei denn die Lebenserwartung der Gastrotrichen wäre im Sommer gesunken.
Hier könnte nur die Schwarmintelligenz von Amateuren helfen, die genügend Daten sammeln könnten, um die Statistik auf eine signifikante Basis zu stellen. Vielleicht wäre es lohnenswert, so was mal zu organisieren?

Viel Glück bei Deiner Suche

Michael

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