Gastrotrichenfauna meines Gartenteichs I: Ch. polyspinosus

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Michael
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Gastrotrichenfauna meines Gartenteichs I: Ch. polyspinosus

#1 Beitrag von Michael » 24. April 2017, 11:02

Hallo Freunde des Tümpels,

beim Durchmustern meines Gartenteiches nach Gastrotrichen bin ich inzwischen auf so viele Arten gestoßen, dass ich fürchte, den Überblick zu verlieren. Deshalb haben ich mich entschlossen, für mich selbst meine Beobachtungen zusammenzufassen und mit den Literaturangaben abzugleichen. Bei der Gelegenheit dachte ich, es könnte auch für die Eine oder den Anderen von Euch von Interesse sein, wenn ich die gefundenen Arten hier vorstellen würde.
Ich werde deshalb versuchen, in loser Folge meine bisherigen Funde hier etwas ausführlicher zu beschreiben. Dabei werde ich der taxonomischen Einteilung von Kisielewski [1] folgen, die die ältere Einteilung von Schwank [2] abgelöst hat und heute (immer noch?) allgemein verwendet wird.

Beginnen wir also mit der bisher größten Art meines Gartenteichs:

1. Chaetonotus polyspinosus (Chaetonotus) GREUTER, 1919

Ch. polyspinosus ist ein sehr großer (250µm - 355µm), schlanker Gastrotrich, der durch seine dichte Beschuppung mit sehr kleinen Stachelschuppen in ca. 25 dorsalen Längsreihen mit je ca. 60 Einzelschuppen auffällt. Diese Art ist aufgrund ihrer Größe leicht erkennbar und auf dem Bodenschlamm weltweit recht häufig anzutreffen. Eine genauere Beschreibung ist bei Schwank [2] und Kisielewski [3] zu finden.
Gerade wegen ihrer Größe eignet sich die Art sehr gut zu Anatomiestudien.

Bild
Bild 1: Übersicht Ch. polyspinosus - PL40; A: innere Anatomie - lateral; B: innere Anatomie - dorsal; C: Schuppen lateral; D: Schuppen dorsal

Die Anatomie von Ch. polyspinosus ist die eines typischen Gastrotrichen:
Die äußere Gestalt entspricht mit der typischen "Flaschenform", dem deutlich abgesetzten, 5-lappigen Kopf und der flachen Gleitsohle dem "Prototyp" Ch. maximus (Bild 1B). Die Seitenansicht (Bild 1A) erscheint durch die riesigen Eier (rEz) oft unförmig aufgewölbt (Gastrotrichen sind die Tiere mit den relativ größten Eiern).
Die Nahrung wird durch die runde, subterminale Mundröhre (Mr) eingesaugt. Der dazu notwendige Sog wird durch den muskulösen Pharynx (Ph) erzeugt. Nach Filterung mit der Reuse (Rs), einer faltigen, kutikularen Struktur am Pharynxausgang, wird die Nahrung direkt an den Darm (D) weitergeben, in dem die Verdauung erfolgt. Die Nahrungsreste werden dann durch einen dorsalen After (A) ausgeschieden. Rund um den Vorderteil des Pharynx liegt die Zellmasse des Gehirns (G) in das die Wimpernbüschel am Kopf direkt münden.
Ebenfalls typisch für (Süßwasser-)Gastrotrichen sind die beiden Kleberöhrchen am Körperende, in die die Klebedrüsen (Kd) münden. Hier wird bei Bedrohung ein Klebstoff ausgeschieden, mit dem sich die Tiere in Sekundenbruchteilen an das Substrat anheften können.
Die Oberfläche von Ch. polyspinosus ist mit einigen tausend (!) sehr kleinen, bestachelten Schuppen bedeckt (Bild 1C, 1D, Bild 2), deren Form sich dorsal und zwischen den beiden Wimpernbändern (dem ventralen Zwischenfeld - vZwf) grundlegend unterscheidet und dadurch diese Art von den primitiveren Formen der Chaetoniden abgrenzt. Das ventrale Zwischenfeld ist mit vielen kleinen längsovalen Kielschuppen bedeckt.

Bild
Bild 2: Schuppendetails Ch. polyspinosus; A: Übergang dorsal nach ventral (Ausschnitt aus Bild 1C); B: Schuppenverteilung in POL; C: Einzelschuppe

Die Kutikula der Gastrotrichen - und damit auch die Schuppen - sind leicht doppelbrechend und zeigen deshalb im polarisierten Licht Interferenzfarben. So ist es möglich, die dichte Beschuppung von Ch. polyspinosus recht eindrucksvoll darzustellen (Bild 2B). Die sehr kleinen Einzelschuppen sind nur an ihrem Vorderrand in der Epidermis der Tiere befestigt und sind deshalb sehr beweglich. Dies führt zu einer extremen Beweglichkeit und Flexibilität der Tiere, die man ihnen bei der starken Panzerung nicht zutraut (Bild 3). Diese hervorragende Kombination zwischen "Schutz" und "Beweglichkeit" dürfte auf dieser Größenskala einzigartig sein.

Bild
Bild 3: Bewegungsstudie Ch. polyspinosus

Abschließend möchte ich noch einige Details der Anatomie von Ch. polyspinosus zeigen:
Der Kopf von Ch. polyspinosus ist unbeschuppt und mit einigen kutikularisierten Platten bedeckt. Frontal schützt das mächtige Kephalion (K) das Vorderende oberhalb der Mundröhre (Mr). Epipleuren- (Epl) und etwas größere Hypopleurenpaare (Hpl) schließen sich seitlich an das Kephalion an und geben dem Kopf die typische 5-lappige Kontur. In den Lücken zwischen den Kutikularplatten sind die beiden lateralen Wimpernbüschelpaare (vlW und hlW) eingefügt, die direkt aus Ganglienzellen des Gehirn entspringen und Sinnesorgane darstellen. Direkt am Mund sitzt ein Paar kurzer, oraler Wimpernbüschel (oW). Unterhalb des Mundes besitzt Ch. polyspinosus eine weitere Kutikularplatte, das Hypostomium (Hyp). Bei dieser Art weist das Hypostomium zwei kegelförmige Höcker auf.
Wie bei allen Gastrotrichen besteht das Exkretionssystem von Ch. polyspinosus aus einem Paar einfacher Protonephridien, deren Wimpernkolben mikroskopisch nur durch das Flimmern der "Wimpernflammen" auffällt. Ein überzeugendes Foto ist mir hier nie gelungen. Diese Wimpernkolben "pumpen" die Exkrete in lange, vielfach gewundene Ausführungsgänge (Bild 4C, Pr), die bei Ch. polyspinosus gut zu beobachten sind und ventral im Zwischenfeld münden.

Bild
Bild 4: Anatomiedetails Ch. polyspinosus; A: Kutikular-Platten am Kopf; B: Wimpernbüschel und Hypostomium; C: Protonephridien

Ich hoffe, ich habe Euer Interesse für dieses etwas abseitige Thema nicht allzu überstrapaziert. Wenn gewünscht, plane ich diese Gastrotrichenserie in der nächsten Zeit fortzuführen.

Viel Grüße

Michael



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Literaturverzeichnis:

[1] Kisielewski,J. 1997. On the Subgeneric Division of the Genus Chaetonotus Ehrenberg (Gastrotricha). Annales Zoologici (1997) 46 145-151
Download: http://rcin.org.pl/Content/57711/WA058_ ... -3-4-1.pdf

[2] Schwank, P. (1990) Gastrotricha. In: Schwoerbel, J. & Zwick, P. (eds), Süsswasserfauna von Mitteleuropa, Band 3.Gastrotricha und Nemertini. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart, Jena, New York, 252 pp.

[3] Kisielewski,J. 1991. Inland-water Gastrotricha from Brazil. Ann. Zool. (Warsaw) 43 Suplement 2: 1-168.
Download: http://rcin.org.pl/Content/57683/WA058_ ... Supl-2.pdf


Verzeichnis der Abkürzungen:

A: After
D: Darm
Epl: Epipleuron
G: Gehirn
hlW: hinteres laterales Wimpernbüschel
Hpl: Hypopleuron
Hyp: Hypostomium
K: Kephalon
Kd: Klebedrüsen
Mr: Mundröhre
oW: orales Wimpernbüschel
Ph: Pharynx
Pr: Protonephriden
rEz: reife Eizelle
Rs: Reuse
Rsch: Rückenschuppe
ShZwf: Schuppe hinteres Zwischenfeld
vlW: vorderes laterales Wimpernbüschel
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MartinKreutz
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Re: Gastrotrichenfauna meines Gartenteichs I: Ch. polyspinos

#2 Beitrag von MartinKreutz » 25. April 2017, 17:49

Hallo Michael,

vielen Dank für diese ausführliche und sehr gut bebilderte Doku. Ich finde hier ja auch ständig verschiedene Arten von Gastrotrichen, schaue sie mir aber nur selten genauer an, da ich mehr Jagd auf Ciliaten mache. Aber ich glaube, ich muss mir die auch mal genauer betrachten. Den Schwank habe ich hier auch stehen. Ich finde es auch keineswegs ein "abwegiges Thema" und daher würde ich weitere Beiträge dazu begrüßen.

Du hast eine POl-Aufnahme dabei, welche das "leicht doppeltbrechende" Schuppenkleid zeigt. Sind die Schuppen aus Chitin (was ich mal vermute) oder aus einem anderen Material?

Martin

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Re: Gastrotrichenfauna meines Gartenteichs I: Ch. polyspinos

#3 Beitrag von Monsti » 25. April 2017, 20:56

Hallo Michael,

auch von mir ein großes Dankeschön für Deinen spannenden Beitrag! :wicked_001: Bitte mehr davon!!!

Herzliche Grüße
Angie
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Re: Gastrotrichenfauna meines Gartenteichs I: Ch. polyspinos

#4 Beitrag von Ole » 26. April 2017, 17:38

Hallo Michael,

ich schließe mich den Vorschreibern an - gerne mehr davon. Ich habe diese Art auch regelmäßig in meinen Proben, aber nie so gründlich untersucht wie Du.

Vielen Dank und schöne Grüße

Ole

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Re: Chaetonotus polyspinosus

#5 Beitrag von Michael » 27. April 2017, 06:46

Hallo Martin, Angie und Ole,

vielen Dank für Eure Rückmeldung. Es hat mich gefreut, dass der Beitrag von Interesse für Euch war.

Die Kutikula der Gastrotrichen beinhaltet kein Chitin (lediglich in der kutikularen Auskleidung des Inneren des Pharynx sind Spuren von Chitin nachgewiesen worden). Die Kutikula ist zweischichtig:
Die äußere, extrem dünne Epicutikula überzieht das gesamte Tier (also auch Schuppen, Tasthaare und sogar Zilien) und besteht - soweit ich es verstanden habe - aus einer polysaccharid-verstärkten Lipid-Doppelschicht.
Die dickere, innere Endocutikla, aus der auch die Schuppen gebildet werden, besteht aus einem geschichteten (bei Chaetoniden 18 Schichten), proteinhaltigem Material (was immer das sein mag). Durch die Schichtung ist die el. Leitfähigkeit (und damit auch der Brechungsindex) anisotrop und es entsteht "Form-Doppelbrechung". Dadurch kann man z.B. die Schuppen am lebenden Tier durch Betrachtung im polarisierten Licht einfärben. Durch die Bewegung des Tieres entsteht ein Feuerwerk von sich ändernden Farben, das sehr sehenswert ist.

Viele Grüße

Michael
Zuletzt geändert von Michael am 28. April 2017, 06:31, insgesamt 1-mal geändert.

ErnstH

Re: Gastrotrichenfauna meines Gartenteichs I: Ch. polyspinos

#6 Beitrag von ErnstH » 27. April 2017, 15:14

Hallo Michael,
sehr guter Beitrag! Könntest Du ein solches Bild oder Video im pol. Licht zeigen?

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Re: Gastrotrichenfauna meines Gartenteichs I: Ch. polyspinos

#7 Beitrag von Michael » 27. April 2017, 17:00

Hallo Ernst,

eine Video habe ich leider nicht, aber ich schiebe gerne ein paar Pol-Aufnahmen nach, wobei die Qualität bei einem freischwimmenden Objekt zu wünschen übrig lässt:

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Viel Spaß beim Anschauen und einen schönen Abend

Michael

MartinKreutz
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Re: Gastrotrichenfauna meines Gartenteichs I: Ch. polyspinos

#8 Beitrag von MartinKreutz » 27. April 2017, 19:39

Hallo Michael,

ein "geschichtetes (bei Chaetoniden 18 Schichten), proteinhaltigem Material (was immer das sein mag)" hörst sich für mich nach Keratin an, an dem auch unsere Fingernägel bestehen. Jedenfalls eine sehr interessante Information, da ich bisher immer von Chitin ausgegangen bin (einem Polysaccharid).

Ich bin videofähig in HD, auch wenn ich es kaum nutze. Ich werde versuchen, mal ein paar Aufnahmen in POl zu drehen. Aber etwas Geduld. Bin hier mit 10 Sachen gleichzeitig zugange!

Martin

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