Chaetonotus maximus in postparthenogenetischer Phase

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Michael
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Chaetonotus maximus in postparthenogenetischer Phase

#1 Beitrag von Michael » 29. September 2016, 09:57

Liebe Tümpler-Kollegen,

angeregt von Oles Beitrag, möchte ich Euch heute den Gastrotrichen Chaetonotus maximus in seiner Lebensphase als Zwitter (postparthenogenetische Phase - PPP) vorstellen.

Über ein Jahrhundert lang ging man davon aus, dass bei Süßwasser-Gastrotrichen nur Weibchen vorkommen, die sich parthenogenetisch fortpflanzen. Erst Mitte der 80ger Jahre häuften sich Berichte von Spermabeobachtungen in diesen Tieren und man erkannte, dass sich Süßwasser-Gastrotrichen nach einer parthenogenetischen Phase in zwittrige Tiere umwandeln. Dieser Fortpflanzungsmechanismus gibt immer noch Rätsel auf, obwohl Sperma inzwischen in nahezu allen Süßwasser-Gastrotrichen nachgewiesen werden konnte. Meine Ausführungen basieren aus den Veröffentlichungen von M. R. Hummon [1-3], die sich mit der zellulären Entwicklung der PPP beschäftigen und von M. J. Weiss [4].
Vor einiger Zeit hatte ich das Glück, einen Ch. maximus in dieser Phase beobachten zu können.

Bild
Bild 1: Ch. maximus; oben in vivo, Stack aus zwei Schärfeebenen; unten gefärbt mit Methyl-Grün; PL40
Sp: Spermapakete; X: X-Organ; Ez: Eizelle; rb: Restkörper (residual body)


Da Gastrotrichen zellkonstante Lebewesen sind, war es eine Überaschung, dass sich im Laufe ihres Lebens neue Organe bilden konnten, Das Ovar von Süßwasser-Gastrotrichen besteht bereits beim Schlüpfen des Tieres aus beidseitig je 8 Zellen, aus denen sich dann die Eier entwickeln. Nach der Ablage von 4 Eiern beginnen sich einige der posterioren Zellen der verbleiben sechs Zellen zu teilen und formen beiderseits eine Zyste, in die sie ein Sekret unbekannter Funktion abgeben. Diese beiden kugelförmigen Gebilde werden X-Organ genannt, dessen Funktion bei der Fortpflanzung wohl immer noch unbekannt ist. Im unteren Teilbild von Bild 1 ist gut zu erkennen, dass sich keine Zellkerne im inneren des X-Organs befinden. Lediglich randständige Kerne sind vorhanden.
Gleichzeitig werden beidseitig des Darms in der Körpermitte Spermapakete in Zysten gebildet, die aus max. 16 Spermatozoen bestehen. Das linke Spermapaket in Bild 1 besteht – nach meiner Zählung – bereits aus 8 einzelnen, fadenförmigen Spermatozoen. Ich nehme deshalb an, dass noch eine Teilung aussteht. Das rechte Spermapaket ist bereits freigesetzt und liegt etwas dorsal zu der ursprünglichen Zystenposition. Die leere Zyste verbleibt als ein Restkörper (residual body) im Gewebe und löst sich später auf.
Die einzelnen fadenförmigen Spermatozoen haben eine Größe von ca. 6,5µ x 0,5µ und sind, wie die Kernfärbung nachweist, vollständig mit Kernmaterial gefüllt. Sie sind unbeweglich und es konnten keine Organe zur Fortbewegung gefunden werden. Deshalb ist es noch unbekannt, wie sie an einen Fortpflanzungspartner weitergegeben werden können. Eine Selbstbefruchtung findet, wie in Kulturexperimenten nachgewiesen, nicht statt.
Gleichzeitig mit den Spermapaketen reifen weitere Eizellen aus, die wohl von einem Partner befruchtet werden müssen. Gastrotrichen in dieser Lebensphase sind also wohl echt Zwitter.

Viel Spaß beim Lesen

Michael



Literatur:

[1] Margaret R. Hummon: Reproduction and sexual development in a freshwater gastrotrich.
1. Oogenesis of parthenogenic eggs (Gastrotricha), Zoomorphology (1984) 104:33-41, Download

[2] Margaret R. Hummon: Reproduction and sexual development in a freshwater gastrotrich.
2. Kinetics and fine structure of postparthenogenic sperm formation, Cell Tissue Res (1984) 236:619-628, Download

[3] Margaret R. Hummon: Reproduction and sexual development in a freshwater gastrotrich.
3. Postparthenogenic development of primary oocytes and the X-body, Cell Tissue Res (1984) 236:629-636, Download

[4] Mitchell J. Weiss: Widespread hermaphroditism in freshwater gastrotrichs, Invertebrate Biology 120(4): 308-341, Download
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Ole
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Re: Chaetonotus maximus in postparthenogenetischer Phase

#2 Beitrag von Ole » 29. September 2016, 17:24

Hallo Michael,

herzlichen Dank für Deinen Beitrag - es ist schön, einen Gastrotrichen-Kollegen im Forum zu haben, der sich auch für die Biologie dieser unscheinbaren Organismen interessiert. Ich gebe Dir recht, ich habe auch nicht den Eindruck, dass 20% der Exemplare einer Population in der "ppP" sind. Allerdings habe ich das nie statistisch genauer untersucht, zumal man bei den Gastrotrichen in der Regel immer nur wenige Tiere pro Probe findet.

Vielen Dank für die Literaturangaben, die auch für mich die wesentlichen Quellen mit Informationen zu dieser Thematik darstellen. Die Arbeit von Weiss aus Invertebrate Biology enthält übrigens zahlreiche Tafeln mit feinster Lichtmikroskopie, die auch für Nicht-Gastrotrichologen interessant sein könnten. Als Zeiss-Mikroskopiker habe ich mich da immer gefragt, mit welchen DIK Prismen die Aufnahmen mit dem Plan Apo 40/1,0 Öl, die in der zitierten Arbeit gebracht werden, entstanden sein können. Aber dies ist eine andere Thematik ...

Viele Grüße

Ole

MartinKreutz
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Re: Chaetonotus maximus in postparthenogenetischer Phase

#3 Beitrag von MartinKreutz » 3. Oktober 2016, 23:01

Hallo Michael,

vielen Dank für den super Beitrag! Die Gastrotrichen sind ja nicht so mein Spezialgebiet, aber durch solche Beiträge blicke ich hier inzwischen so einiges und weiß, worauf ich achten muss, bzw. kann es jetzt interpretieren!

Martin

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