Tetrasiphon hydrocora Ehrenberg 1840

z.B. Rädertiere, Bauchhärlinge, Strudelwürmer, Wenigborster
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Nostoc
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Tetrasiphon hydrocora Ehrenberg 1840

#1 Beitrag von Nostoc » 5. September 2016, 11:21

Geehrte Rädertierfreunde,
angeregt durch Oles Beitrag zu zwei Gastrotrichen aus der Nordsee (=>http://www.mikro-tuemplerforum.at/viewt ... f=17&t=462) und das überaus interessante Zusatzkapitel über die Protonephridien habe ich eine kleine Monographie zu Tetrasiphon hydrocora Ehrenberg 1840 zusammengetragen.
Wie Martins Beitrag über DIC und schiefe Beleuchtung (=>http://www.mikro-tuemplerforum.at/viewt ... f=35&t=460) sehr überzeugend zeigt, kann man hyaline Wasserbewohnern vielfach auch ohne aufwändiges Kontrastverfahren aussagekräftig darstellen. Die Aufnahmen unten entstanden (siehe Bildunterschriften) teilweise mit schiefer Beleuchtung, wobei der Kontrast (vor allem der Linien) mit einem strengen Grünfilter (Baader Solar Continuum) zusätzlich angehoben wurde.
Die Wasserprobe mit Tetrasiphon stammt aus einem verlandeten See bei Serrahn in Mecklenburg-Vorpommern und weist die für Moore typischen Wasserwerte (geringer Leitwert, pH<<7) auf.

Bild

Tetrasiphon hydrocora, ventrale Ansicht, frei schwimmend (ohne Deckglas) (Schiefe Beleuchtung/GF).
Die grauen Pfeile zeigen auf die Dorsal- bzw. Lateraltaster, die weißen Pfeile auf die mächtig entwickelten, nierenförmigen Magendrüsen.


Bild

Das zweite Bild (Schiefe Beleuchtung/GF) zeigt Tetrasiphon leicht gequetscht in Seitenlage.
E= Augenfleck, MD=Magendrüsen, Vitellarium (“Eierstock”), Ma=Magen, S=Subitanei, K=Klebedrüsen(4 Stück).
„G“ bezeichnet einen dem Verbindungsrohr zwischen Ösophagus und Magen „anhaftenden Kranz von kolbenförmigen Drüsen“ (Koste)(nur bei der in vivo Beobachtung gut sichtbar).
Während im Überblick die inneren Organe für Verdauung und Fortpflanzung dominieren, scheint der „unterdimensionierte“ Fuß (mit zwei spitzzulaufenden Zehen) zu den sehr ruhigen Bewegungen von Tetrasiphon zu passen. Im Gegensatz zu den raupenartig kriechenden bdelloiden Rädertieren dient der Fuß wohl in erster Linie als Haftorgan, wofür meiner Meinung nach auch die gut sichtbaren Klebedrüsen sprechen.

Das schräggestellte Radorgan ist ebenfalls vergleichsweise schwach entwickelt.
Die beiden folgenden Aufnahmen zeigen das Entfalten der Korona:

Bild
(Tetrasiphon hydrocora, (E): Augenfleck, weiße Pfeile: Korona, (Schiefe Beleuchtung/GF) )

Bild
(Tetrasiphon hydrocora beim „Rädern“, Legende siehe vorheriges Bild)

Der Magen und sein Inhalt weisen auf eine bei Koste erwähnte Spezialisierung hin:
„T. hydrocora ist in der Lage, selbst größte Desmidien, z.B. Micrasterias-Arten u.a. zu verschlingen, scheint auf diese Algen-Gruppe spezialisiert zu sein. Siehe POURRIOT (1967) !“
(Aus Koste „Rotatoria“ Band 1, S. 291).
Bei den von mir näher untersuchten Exemplaren zeigte sich zudem eine eindeutige Präferenz für die Zieralge Tetmemorus granulatus (Dank an Rupert für die Überprüfung !), obwohl zahlreiche Algen anderer Gattungen(u.a. sieben verschiedene Closterium sp.) als Nahrungsquelle verfügbar waren.
Eine Dunkelfeldaufnahme des Magens habe ich bereits hier im Forum gezeigt:(=>http://www.mikro-tuemplerforum.at/viewt ... iphon#p300).
Die zieralgenhaltige Nahrung wird u.a. mit dem Sekret der bereits oben erwähnten Magendrüsen verdaut:

Bild
(Tetrasiphon hydrocora, Detailaufnahme der Magendrüsen, DIC)

Tetrasiphon produziert ausgehend von den Zellen im Vitellarium Subitaneier mit einem Durchmesser von rund 150µm. Nach Koste sind die frisch geschlüpfte Rädertiere bereits 450µm groß:

Bild
(Tetrasiphon hydrocora, Detailaufnahme des bandförmigen Vitellariums mit ca. 30 Kernen , DIC)

Bild
(Tetrasiphon hydrocora, Detailaufnahme eines Subitaneis mit helmartigen Stachelaufsätzen, (Schiefe Beleuchtung/GF))

Neben dem Augenfleck (Zerebral-Auge, siehe oben) dienen Taster mit auffällig langen Sinnesborsten der Orientierung.

Bild
(Tetrasiphon hydrocora, Detailaufnahme eines Lateraltasters, DIC)

Wenn ich obige Aufnahme richtig interpretiere, ist in der Mittelachse des Tasters ein Muskelstrang erkennbar, der der Retraktion des Tasters bzw. der Sinnesborsten dient („Einfahren der Antenne“). An Zusatzinformationen zur Funktion (Feinbau, Innervierung, Signalweitergabe und Verarbeitung …) der Rädertiertaster wäre ich überaus interessiert!

Last but not least die bereits eingangs erwähnten „Nieren“ von Tetrasiphon:
Unterhalb des Vitellariums (V) ist eine röhrenartige Struktur erkennbar, an deren Ende links eine Terminalzelle (T) sitzt (M= Muskelstränge, A=Amöboides Gewebe)

Bild
(Tetrasiphon hydrocora, Exkretionsorgan, DIC)

Bild
(Tetrasiphon hydrocora, Detailaufnahme des oben mit "T" bezeichneten Bereiches, Terminalzelle, DIC)


Beste Grüße


Richard
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Re: Tetrasiphon hydrocora Ehrenberg 1840

#2 Beitrag von Michael » 5. September 2016, 16:10

Hallo Richard,
vielen Dank für die detailierten Einblicke in dieses Riesen-Rädertier. Das ist genau die Art von lehrreichen Beiträgen, die mich faszinieren und anspornen, meine eigenen Fertigkeiten zu verbessern.

Viele Grüße

Michael

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Re: Tetrasiphon hydrocora Ehrenberg 1840

#3 Beitrag von MartinKreutz » 5. September 2016, 20:28

Hallo Richard,

vielen Dank für diesen tollen Beitrag über ein Rädertier, welches ich selber leider noch nie gesehen habe. Sehr schön auch die lehrreichen Detailaufnahmen. In der vorletzten Aufnahme hast Du eine Zelle mit "amöboides Gewebe" bezeichnet. Meines Wissens besitzen die Rädertiere eine Art Immunsystem. Kann es sich um eine Art Fresszelle handeln? Ich bin hier nicht der Rädertierexperte. Ich habe das mit dem Immunsystem nur dumpf im Hinterkopf, ohne Quellenangabe. Ich weiß nicht ob es stimmt.

Schönen Abend!

Martin

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Re: Tetrasiphon hydrocora Ehrenberg 1840

#4 Beitrag von Nostoc » 6. September 2016, 11:27

@alle: Vielen Dank für die freundliche Aufnahme meines Beitrages !
@Martin:
Ich habe u.a. von Michael Plewka (Rädertierexperte) erfahren, dass eine genaue Zuordnung von Zellen zu diesem Gewebetyp auf der alleinigen Grundlage von Fotos schwierig ist. Z.B. befinden sich in dem gezeigten Bereich auch Nervenzellen (u.a. Innervierung der Muskelstränge ("M")) mit ähnlichem Aussehen. Die Zellen des Amöboidgewebes sind an ihren Bewegungen und Formveränderungen (anastomosierende Bewegung) erkennbar. In den Vakuolen werden nach Koste Exkretstoffe, Bakterien, Farbstoffe etc. transportiert, daher könnte man sie als Fresszellen eines "Immunsystems" bezeichnen.
Anbei die Darstellung im Koste (Band 1, Seite 22), die die morphologischen Kapriolen dieses Zelltyps verdeutlicht:

Bild


Beste Grüße

Richard

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Re: Tetrasiphon hydrocora Ehrenberg 1840

#5 Beitrag von Ole » 7. September 2016, 17:22

Lieber Richard,

Deine Dokumentation dieses seltenen Rädertieres ist ganz hervorragend. Unaufdringliche, das Objekt und seine Biologie in den Mittelpunkt stellende Mikroskopie at its best. Das Bild vom Lateraltaster ist so sicherlich einmalig.

Erstaunlich finde ich die Oberflächenstruktur des Subitaneies. Normalerweise erwarte ich solche Extras eher bei den befruchteten Dauereiern.

Vielen Dank und schöne Grüße

Ole

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Re: Tetrasiphon hydrocora Ehrenberg 1840

#6 Beitrag von Monsti » 7. November 2016, 19:48

Hallo zusammen, lieber Richard,

heute fand ich dieses "riesige" (um 1 mm) Tier ebenfalls, und zwar in einer Probe vom Gieringer Moor (Reith b. Kitzbühel) vom August d.j.:

Bild
6,3 X Neofluar

Bild
Kopf mit Räderorgan, links davon die Magendrüsen (16X Neofluar)

Beste Grüße
Angie
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Re: Tetrasiphon hydrocora Ehrenberg 1840

#7 Beitrag von MartinKreutz » 7. November 2016, 20:07

Hallo Angie,

ich glaube, Dein Fund ist auch Tetrasiphon hydrocora. Erst habe ich auf Deinen Fotos nach dem prominenten Vitellarium gesucht, welches auf Richard's Fotos gut zu sehen ist. Bei Deinem Exemplar findet es man dem Magen angelagert, weshalb es nicht sofort auffällt. Die typischen, kleeblattförmigen Magendrüsen sind aber auch sehr gut zu erkennen. Sehr schöner Fund!

Martin

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Re: Tetrasiphon hydrocora Ehrenberg 1840

#8 Beitrag von Monsti » 7. November 2016, 20:39

Hallo Martin,

die Organe dieses Viechs sind ausgesprochen wanderfreudig (was auch das Fotografieren schwierig macht). Das Vitellarium liegt deshalb so unauffällig, weil der Magen gut gefüllt ist, was bei Richards Exemplar nicht der Fall war. Tetrasiphon hydrocora ernährt sich von Desmidiaceen.

Viele Grüße
Angie
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Re: Tetrasiphon hydrocora Ehrenberg 1840

#9 Beitrag von Ole » 8. November 2016, 07:24

Hallo Angie,

Glückwunsch zu dem eindrucksvollen Fund - ich habe diese Art bisher nie gesehen. Mir war gar nicht klar, wie groß diese Tiere sind.

Viele Grüße

Ole

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Re: Tetrasiphon hydrocora Ehrenberg 1840

#10 Beitrag von Monsti » 12. November 2016, 21:57

Hallo zusammen,

zur Nahrungspräferenz dieses Tiers kann ich die besondere Vorliebe für Tetemorus granulatus nicht bestätigen. In der Probe, in der ich dieses Rädertier finde, dominieren im Magen Euastrum crassum und Micrasterias truncata, obwohl es auch reichlich T. granulatus gibt. Ein weiteres Foto von gestern:

Bild

Das Tier hat ausschließlich M. truncata gefressen - in der Probe gar nicht sooo häufig.

Viele Grüße
Angie
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