Ein Zufallsfund: Die Süßwassermeduse Craspedacusta sowerbii

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Ole
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Ein Zufallsfund: Die Süßwassermeduse Craspedacusta sowerbii

#1 Beitrag von Ole » 16. August 2016, 07:04

Liebe Forumsteilnehmer,

den folgenden Beitrag habe ich gerade im Mikroforum veröffentlicht - ich denke jedoch, dass er auch für Tümpler interessant sein könnte. Daher diese "Zweitveröffentlichung" - hat jemand diese Art schon einmal zufällig gefunden oder gar bewusst gesucht?

Viele Grüße

Ole

***

ich möchte hier von einem Sommerausflug der etwas anderen Art berichten. Eigentlich hatten wir lediglich vor, an einem Badesee in der Nähe von Würzburg - einem Baggersee parallel zum Main - den sonnigen Feiertag zu verbringen. Ich hatte gelesen, dass das Wassers dieses Gewässers auch in den Sommermonaten von guter Qualität sei und dass man gelegentlich dort die seltenen Süßwasserquallen Craspedacusta sowerbii gefunden habe.

Quallen - also die freischwimmende Geschlechtsgeneration im Lebenszyklus vieler Nesseltiere - werden von Polypen gebildet, die am Boden leben und sich ungeschlechtlich vermehren. Die Quallen bilden Keimzellen aus, die meist im freien Wasser die Befruchtung durchführen. Hieraus geht eine freischwimmende Larve hervor, die sich nach einiger Zeit im Plankton am Gewässergrund bzw. auf Substraten festsetzt, eine Metamorphose durchläuft und sich zum Polypen umwandelt. Hiermit ist der Lebenszyklus geschlossen. Normalerweise verbindet man mit Quallen das Leben im Meer - es gibt jedoch auch einige wenige Hydrozoen, die im Süßwasser lebende Medusenstadien hervorbringen.

Dazu gehört auch die Art Craspedacusta sowerbii, die nach Mitteleuropa wohl aus dem asiatischen oder südamerikanischen Raum eingeschleppt wurde. Im Internet findet am die Angabe, dass sie 1880 zum ersten Mal in Europa gefunden wurde. James de Carle Sowerby entdeckte sie in den Royal Botanic Gardens in London in Seerosenbecken mit Pflanzen, die aus Brasilien stammten. In Mitteleuropa findet man sie heute in warmen, sauberen Seen und Teichen in der Uferzone. Während der Polyp ein unscheinbares Wesen von wenigen Millimetern Länge darstellt und ein ebenso unscheinbares Leben am Grund des Gewässers führt, ist die Meduse eine aufällige Erscheinung von ca. 2,5 cm Schirmdurchmesser, die sich in typischer Manier der Quallen durch pulsierende Bewegungen des Schirmes an der Wasseroberfläche bewegt.

Die folgende Abbildung zeigt den idyllischen, schilfumstandenen Baggersee (bei Erlabrunn, Nähe Würzburg) und im Hintergrund eine charakteristische Weinlage auf Muschelkalk. Die Main liegt zwischen dem See und den Weinbergen. Als Limnologe ist man vorbereitet und hat immer etwas zum Schöpfen und Fischen dabei - so konnte ich gleich die erste Meduse am Rand des Sees abschöpfen. Dieses Exemplar blieb nicht das einzige. Bei genauerem Hinsehen ließen sich die zarten Hydromedusen immer wieder in der Nähe der Ufervegetation erkennen.

Bild

Es gelang mir, eine Meduse unbeschadet nach Hause mitzunehmen und in eine rechteckige Blumenvase als Mikroaquarium mit dunklem Hintergrund zu überführen. Für die Fotografie habe ich dann von zwei Seiten beleuchtet. Die folgenden Aufnahmen entstanden mit einem Canon-Makroobjektiv 50mm bei Blende 2,8 auf einem Stativ. Dies kann man sicherlich noch optimieren, ich war aber froh, den seltenen Fund überhaupt brauchbar dokumentieren zu können. Die Meduse von Craspedacusta sowerbii schwimmt rasch pulsierend, verharrt aber immer wieder regungslos mit abgestreckten Tentakeln und abgeflachtem Schirm (D), so dass man relativ gut fotografieren kann. An der Unterseite des Glocke erkennt man den gelappten Magenstiel (Ms). Auffällig sind die 4 Radialkanäle (Rk in A), also zum Glockenrand ziehende Abschnitte des Magens. An diesen Radialkanälen entwickeln sich bei Hydromedusen die Gonaden. Ich deute daher die weißlichen Massen an den Radialkanälen bei meinem Exemplar als Keimzellen. Am Rand der Glocke setzen die Tentakel an, von denen ich lange, kräftige und kurze, feine erkennen konnte (Ten1 und 2 in B). In Seitenansicht tritt die konvex geformte Exumbrella in Erscheinung (Exu in B). Das Velum (Ve in C) springt als Saum am unteren Rand der Glocke hervor und dient dazu, bei Kontraktion der Muskulatur am Glockenrand den Vorschub zu vergrößern, indem es den Querschnitt reduziert, durch den das Wasser aus dem Raum unterhalb der Medusenglocke herausgepresst wird. Es verstärkt damit den Rückstoß.

Bild

Nach der makroskopischen Inspektion habe ich einen der kräftigen Tentakel abgezupft und die Nesselkapseln mikroskopisch untersucht. Zumindest auf den Tentakeln habe ich nur typische Penetranten, also Durchschlagskapseln, gefunden, die dem Erbeuten von planktischen Kleinkrebsen und Rotatorien dienen. Die Kapseln mit dem spitzen Stilett und dem deutlich sichtbaren Faden an seiner Basis sind länglich-oval und messen gut 15 µm. Ihre Anordnung auf dem Tentakel bildet ausgeprägte Querwülste (A). Im stärker gequetschten Präparat (C) löst sich der Gewebeverband auf, und man erkennt, wie die Nesselkapseln in einzelne Ektodermzellen eingebettet sind und sie weitgehend ausfüllen.

Bild
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Monsti
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Re: Ein Zufallsfund: Die Süßwassermeduse Craspedacusta sower

#2 Beitrag von Monsti » 16. August 2016, 18:48

Hallo Ole,

das ist ja irre! Gerade vorgestern hatte ich im Wassertropfen über Limnomedusen gelesen und fasziniert nach Fotos im Web gesucht. Und nun präsentierst Du uns eben dieses Viecherl. Vielen Dank!

Herzliche Grüße
Angie

P.S. Natürlich passt Dein Beitrag perfekt ins Tümplerforum!!! :wicked_002:
Der das Kleine in Ehren hält, ist des Großen umso würdiger. (Sprichwort)

MartinKreutz
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Re: Ein Zufallsfund: Die Süßwassermeduse Craspedacusta sower

#3 Beitrag von MartinKreutz » 16. August 2016, 20:37

Hallo Ole,

ein wirklich sehr schöner, interessanter Beitrag! Meinen Glückwunsch! Ich selber hatte nie das Glück Craspedacusta zu finden. Verstehe ich richtig, dass Du sie einfach mit Hilfe eines Bechers aus dem Teich gefischt hast? Ich muss demnächst vielleicht auch mal etwas genauer ins Wasser glotzen. Besonders gefällt mir das große S/W Bild der Penetranten. Ich nehme an, auch mit dem 63/1.4 aufgenommen. Ich bin bei den Hydrozoen leider ziemlich blank, daher frage ich mich (und Dich), ob Craspedacusta nur diese Penetranten besitzt, oder auch noch andere Nematozysten, wie die Isorhizen oder Desmonemen (wie bei Hydra).

Schönen Abend!

Martin
Zuletzt geändert von MartinKreutz am 17. August 2016, 19:50, insgesamt 1-mal geändert.

Ole
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Re: Ein Zufallsfund: Die Süßwassermeduse Craspedacusta sower

#4 Beitrag von Ole » 17. August 2016, 08:04

Hallo Angie und Martin,

vielen Dank für Eure Rückmeldungen. Für mich war der Fund auch Neuland - es müssen wohl wirklich relativ warme Gewässer in klimabegünstigten Gegenden sein. Ein Freund, der einige Jahre in Ulm gelebt hat, sagte mir gestern, er habe dort und in der Gegend von Freiburg immer wieder mal diese interessante Art gefunden.

@Martin: ich habe das Gefäß eigentlich als Probengefäß für Planktonproben dabei gehabt, die Medusen haben dann aber das Programm durcheinander gebracht. Man musste gar nicht große Wasservolumina filtrieren, um sie zu erhalten, sondern konnte sie direkt an der Wasseroberfläche aufnehmen. Ohne lange nach ihnen zu suchen, habe ich an einem Nachmittag ca. 10 Exemplare gesichtet. Ja, die große Aufnahme der Nesselkapseln habe ich auch mit dem Plan Apo 63/1,4 aufgenommen. Ein Objektiv der Extraklasse, leider für die Tümpelei aufgrund des minimalen Arbeitsabstandes nur bedingt einsetzbar. Aber da ich den passenden (undelaminierten!) DIK-Schieber dazu habe, kommt es immer wieder mal zum Zuge, wenn das Präparat sehr dünn ist. Zumindest auf dem Tentakel habe ich nur Penetranten gefunden, andere Kapseltypen wie bei Hydra habe ich nicht gesehen. Ich meine mich aber daran zu erinnern, dass dies auf dem Polypen anders ist. Ich vermute, es hängt mit der planktischen Lebensweise der Meduse zusammen - sie braucht im freien Wasser keine Wickel- und Klebkapseln.

Viele Grüße

Ole

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