Paramecium aurelia

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paramecium
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Paramecium aurelia

#1 Beitrag von paramecium » 29. Dezember 2021, 14:17

Liebe Tümpler,

Seit Jahren sammle ich auch verschiedene Paramecium Arten als Haustiere in meinem Mikrolabor. Den heutigen Neuzugang habe ich aus einer alten Spirostomum Probe von Michael B. isoliert. Um Paramecium bis auf die Art zu bestimmen, muss man sehr genau auf bestimmte Details achten, wie die Form der pulsierenden Vakuole, deren Austrittsporus und auch die Anzahl und Form der Micronulei. Die Zahl der beschriebenen Arten wächst stetig. Inzwischen sind mehr als 15 gültige Arten beschrieben, einige davon wurden zunächst von früheren Autoren bezweifelt. Sie sind neuerdings jedoch wieder beschrieben worden.

Paramecium aurelia, die Schöne, war in den 1940ern Jahren auch das Lieblingshaustier von Tracy M. Sonneborn, der 14 verschiedene Stämme dieser Art beschrieb und genetisch untersuchte. In der Literatur geistert bis heute der Begriff vom Artenkomplex Paramecium aurelia umher. Sonneborn sprach damals noch von "Rassen" (engl.: "races"). Ein Begriff, der heute eigentlich nicht mehr gebräuchlich ist. Stattdessen sprechen die Protistologen aktuell von "strains" bzw. dem "P. aurelia (species) complex". Oder sollten wir besser sagen "Geschlechter"? Die einzelnen Stämme, die Sonneborn isolierte, zeichneten sich nämlich dadurch aus, dass sie sich untereinander durch Konjugation verpaaren können, jedoch nicht in jeder beliebigen Kombination. Erst kürzlich wurde ein weiterer Stamm des P. aurelia Komplexes beschrieben.

Die Bestimmungsmerkmale von Paramecium aurelia sind rasch aufgezählt: Die Art besitzt die typische Zigarrenform der größeren Arten, unter denen sie die kleinste ist mit 120-170 µm Länge. Wichtigstes Merkmal ist die Anzahl und Form des Micronucleus. Paramecium aurelia besitzt zwei Micronuclei, deren Form Fokin als vesikulär bezeichnet. Dies meint: Die Micronuclei sind sphärisch (kugelförmig) und messen etwa 2-3 µm im Durchmesser. Das Chromatin ist jedoch nur in einer äußeren Schicht der Kugel eingelagert. Sauber fokussiert erscheinen die Micronuclei im Lichtmikroskop mit höchster Vergrößerung daher eher ring-förmig. Die lediglich in einer äußeren Schicht eingelagerte DNA wird auch mit der Fluoreszenzanalyse in dieser Form bestätigt. Auch der Austrittsporus (1) der pulsierenden Vakuolen sollte betrachtet werden. Ebenfalls bestimmungsrelevant für Paramecium Arten ist die Form der zur kontraktilen Vakuole hin führenden Kanälchen.

Hellfeldaufnahmen mit schiefer Beleuchtung. Fluoreszenzaufnahme mit Doppelfärbung Hoechst 33342 und Acridinorange, UV Anregung (385 nm LED).

Viele Grüße
und einen guten Rutsch ins neue Jahr 2022!

Thilo

Literatur:
  • S. I. Fokin. Paramecium genus: biodiversity, some morphological features and the key to the main morphospecies discrimination. Protistology 6 (4), 227– 235, 2010.

Bild 1: Um die Form der Micronuclei von P. aurelia zu bewerten ist die höchste Vergrößerung am Mikroskop zu wählen (60x-100x), hier aufgenommen mit einem Zeiss Life-Cell-Imaging Objektiv LCI Plan-Neofluar 63x/1,3 mit Wasserimmersion.
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Bild 2: Fluoreszenzbeobachtung von P. aurelia mit Doppelfärbung Ho342 und Acridinorange. Gut sichtbar ist die blau gefärbte DNA des Macronucleus und der beiden Micronuclei. In den Micronuclei ist die DNA nur in einer dünnen, äußeren Schicht eingelagert, die den Mi lichtmikroskopisch ein ringförmiges Aussehen verleiht.
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Bild 3: Ein einzelner Austrittsporus einer der beiden kontraktilen Vakuolen von P. aurelia , Aufnahme mit C-Apochromat 40x/1,2 W.
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Re: Paramecium aurelia

#2 Beitrag von SNoK » 29. Dezember 2021, 16:33

Lieber Thilo,

sehr interessant. Das nächste Mal, wenn mir ein "Pantoffel" durchs Bild schwimmt, werde ich genauer hinschauen. Hast Du die beiden Bilder bewusst einmal so und einmal andersrum, um unsere Sinne zu schärfen? Hatte ich kürzlich auch.

Übrigens ist die Diskussion zu Arten und Rassen nicht abgeschlossen. Dieses Jahr erschienen dazu in der "Biologie in unserer Zeit" zwei interessante gegensätzliche Artikel, die ich mal anhänge.

Grüße
Stephan
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Richter - Rasse ohne Realität Biuz 2-21.pdf
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Re: Paramecium aurelia

#3 Beitrag von paramecium » 29. Dezember 2021, 18:50

Lieber Stephan,
SNoK hat geschrieben:
29. Dezember 2021, 16:33
Hast Du die beiden Bilder bewusst einmal so und einmal andersrum, um unsere Sinne zu schärfen? Hatte ich kürzlich auch.
Nein, das Paramecium hatte sich für die Fluoreszenzbeobachtung leider anders gelegt, bevor es festgesetzt werden konnte. Die haben ihren eigenen Kopf.

Vielen Dank für die beiden interessanten Artikel zum biologischen Begriff der Rasse.

Heute ist in der Protistologie von Artenkomplexen (P. aurelia complex) die Rede, wenn die Arten von P. aurelia und anderer Ciliaten diskutiert wird. Nicht nur für P. aurelia, P. bursaria und P. caudatum will man einen solchen Artenkomplex gefunden haben. Viele Arten hat man diesbezüglich noch nicht untersucht. Das liegt wohl auch daran, dass sich nicht viele Ciliaten oder andere Protisten gut züchten lassen. Ferner ist bei den Ciliaten die sexuelle Vermehrung (Konjugation) direkt zu beobachten. Bei der Verpaarung kompatibler Konjuganten gelten hier offenbar die Mendel'schen Gesetze.

Ich bin mir nicht sicher, ob der modernere Begriff des Artenkomplex hier eigentlich falsch ist. Es gab irgendwann einen Punkt, ab dem der Begriff "races" durch "(species) complex" ersetzt wurde. Die entsprechende Arbeit, in der das begrifflich neu gefasst wurde, könnte sogar von Sonneborn (1975) selbst stammen. In 1973 will er in einem Stamm (Rasse) noch eine sexuelle Diversität gefunden haben.

14 Mitglieder des "Artenkomplexes" beschreibt Sonneborn in 1975. Hier verwendet er inzwischen auch die Begriffe "mating types" und "complex". Inzwischen hat man weitere Mitglieder des P. aurelia Komplexes gefunden. "Mating types" geht eher in die Richtung verschiedener kompatibler Geschlechtspartner. Geschlechter sind bei den Ciliaten bislang noch nicht ausgemacht. Andererseits diskutiert man beim berühmten "Blob" (Physarum polycephalum) eine Vielzahl von Geschlechtern anstelle von Rassen oder Arten. Andererseits funktioniert die geschlechtliche Paarung bei den höheren Eukaryoten anders (Meiose). Die Mendel'schen Regeln können offenbar in beiden Fällen angewandt werden.

Ich bin mir hier nicht sicher, ob der Begriff "Rassen" nicht der bessere wäre oder ob man nicht doch von Geschlechtern reden sollte. Auch muss ich nochmal nachlesen, ob Sonneborn verschiedene dieser "mating types" nicht sogar in den gleichen Habitaten fand. Das ist ziemlich verzwickt mit Paramecium.

Viele Grüße

Thilo


Literatur:
  • Calkins, G. N. (1915). Cycles and Rhythms and the Problem of "Immortality" in Paramecium. The American Naturalist, 49(578), 65-76.
    ISO 690
  • Kimball, R. F. (1937). The inheritance of sex at endomixis in Paramecium aurelia. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 23(9), 469.
  • Sonneborn, T. M. (1943). Gene and Cytoplasm: I. The Determination and Inheritance of the Killer Character in Variety 4 of Paramecium Aurelia1. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 29(11), 329.
  • Sonneborn, T. M. (1949). Ciliated protozoa: cytogenetics, genetics, and evolution. Annual Review of Microbiology, 3(1), 55-80.
  • Sonneborn, T. M. (1975). The Paramecium aurelia complex of fourteen sibling species. Transactions of the American Microscopical Society, 155-178.

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