Stentor roeselii

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SNoK
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Stentor roeselii

#1 Beitrag von SNoK » 24. Januar 2021, 18:21

Angie hat es 2018 ja schon mal vorgemacht, aber ich lege detailliert für die Bestimmung einer Art nach, kann ja nicht schaden.

Wichtig bei der Überschrift ist das Wörtchen „kann“, denn meistens ist das Bestimmen leider nicht einfach. Wenn man einen Organismus bestimmen möchte, was ja überhaupt nicht zwingend ist, dann sollte man vor oder bei der Beobachtung ganz genau überlegen, welche Merkmale man später benötigt. Bei Wimperntieren sind es meist die Wimpern und ihre Anordnung, genauso wie die Zirren. Und vor allem auch der Kern oder die Kerne. Ebenso sollte man das Mundfeld sehr gut anschauen, und ob das Tier formveränderlich oder kontraktil ist oder nicht.

Aber nun zu meinem Bestimmungsversuch, der wirklich nicht schwierig war. Gestern Morgen entdeckte ich an den zwei Querscheiben meines Aquariums auf der Innenseite viele weiße Flecke. Mit meiner 10x LOMO-Lupe habe ich mir das durch die Scheibe angeschaut, und mein Verdacht war richtig, ganz viele Individuen eines Trompetentierchens. Sie sahen auch leicht bläulich aus, was eigentlich schon der Hinweis auf die Art wäre, sich aber später als nicht richtig herausstellte. Aber ich wollte es ja genau machen, also:

1.Schritt: Ein Foto mit der Canon G16 von außen ins Aquarium gemacht, was mit der Schärfe etwas schwierig war bei der 1 cm dicken Scheibe. Es gelang dennoch ganz gut, um das Trompetentierchen zu erkennen (Foto 1).

2. Schritt: Mit einer Pasteurpipette einige Individuen aus dem oberen Bereich der Aquarienscheibe entnommen und in ein Blockschälchen überführt.

3. Schritt: Mit einer Eppendorf-Pipette aus dem Blockschälchen einzelne Tiere aufgenommen und auf einen Objektträger übertragen. Das ging gut, da die Tiere zwischen 1 und 1,5 mm lang waren, also um die 1000 µm.

4. Schritt: Im Mikroskop mit DIK angeschaut und fotografiert: Adorale Membranellenzone, Makronucleus, kontraktile Vakuole, mögliche Farbpigmente, Wimpern.

5. Schritt: Die Bestimmung machte ich nach nach Kahl (1932) und Foissner/Berger/Kohmann (1992). Ich begann gleich mit der Familie der Stentoridae, da es ziemlich eindeutig ein Trompetentier war. Aber man kann, wenn man weiß, dass es ein Wimperntier ist, auch mit der schönen, bebilderten Bestimmungshilfe der Ciliaten von Foissner/Berger (1996) anfangen (und im Grunde kommt man damit schon bis zur Art). Alle diese Texte sind im Internet frei erhältlich.

6. Schritt: Das Ergebnis. Wenn man nach Kahl geht, läuft es wie folgt ab. Es gibt drei Gattungen der Stentoridae. Punkt 1 – kontraktil oder nicht. Da das Tier kontraktil ist, ist man sofort bei der Gattung Stentor. Dort geht es weiter mit der Frage, ob der Kern langgestreckt ist oder nicht. Ja, er ist langgestreckt. Nächster Punkt. Ist der langgestreckte Kern rosenkranzförmig (aufpassen, wenn das Tier kontrahiert ist, scheint der Kern etwas rosenkranzförmig zu sein)? Nein, es ist im gestreckten Zustand eine lange Wurst (vermiform). Und schon springt man zu Punkt 9 und ist bereits bei der Art Stentor roeselii. Das ist so einfach, weil diese Kernform für diese Art so typisch ist. Übrigens stimmt auch die Größe. Aber wenn man sich die Pigmente genauer ansieht, dann sind sie doch nicht blau, wie mein erste Eindruck mit der Lupe war, sondern dunkel (siehe Foto). Deswegen heißt es auch das Graue Trompetentierchen.

Noch eine letzte Bemerkung, die für die Bestimmung wichtig sein kann. Die Trompetentiere saßen ganz offensichtlich in einer kurzen Hülle, denn diese war deutlich (siehe Foto) zu erkennen. Und da es an der Scheibe keinen Detritus gibt, müssen sie diese Hülle selbst gebildet

Grüße
Stephan
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So war der Eindruck der Trompetentierchen durch die Scheibe des Aquariums.
So war der Eindruck der Trompetentierchen durch die Scheibe des Aquariums.
IMG_5595a.jpg (16.1 KiB) 4090 mal betrachtet
Ein erster Eindruck vom vermiformen (wurmförmigen) Makronucleus.
Ein erster Eindruck vom vermiformen (wurmförmigen) Makronucleus.
AQ Stentor 002.jpg (293.61 KiB) 4090 mal betrachtet
Hier das entscheidende Merkmal für die Art, der wurmförmige Makronukleus (Ma).
Hier das entscheidende Merkmal für die Art, der wurmförmige Makronukleus (Ma).
AQ Stentor 004.jpg (165.05 KiB) 4090 mal betrachtet
Auch die oben links liegende kontraktile Vakuole ist zwar typisch für die Trompetentierchen, war aber ebenfalls nicht notwendig für die Bestimmung.
Auch die oben links liegende kontraktile Vakuole ist zwar typisch für die Trompetentierchen, war aber ebenfalls nicht notwendig für die Bestimmung.
AQ Stentor 003.jpg (246.67 KiB) 4090 mal betrachtet
Man sieht die Pigmente, aber sie sind nicht blau, wie bei Stentor coeruleus, sondern dunkel, einige scheinen grün zu sein. Aber auch das brauchte man für die Bestimmung nicht wirklich.
Man sieht die Pigmente, aber sie sind nicht blau, wie bei Stentor coeruleus, sondern dunkel, einige scheinen grün zu sein. Aber auch das brauchte man für die Bestimmung nicht wirklich.
AQ Stentor 005.jpg (334.03 KiB) 4090 mal betrachtet
Die adorale Membranellenzone habe ich für die Bestimmung in diesem Fall überhaupt nicht gebraucht.
Die adorale Membranellenzone habe ich für die Bestimmung in diesem Fall überhaupt nicht gebraucht.
AQ Stentor 001.jpg (301.99 KiB) 4090 mal betrachtet
Zuletzt geändert von SNoK am 24. Januar 2021, 23:47, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Bestimmen kann so einfach sein – Stentor roeselii

#2 Beitrag von paramecium » 24. Januar 2021, 21:54

Hallo Stephan,

Glückwunsch zu dem Fund. In Aquarien findet man alle möglichen Arten von Ciliaten. Leider kann man nicht mehr klären auf welchem Weg sie dorthin gelangen konnten. Alleine die Kreuzkontamination durch einen Kescher beim Händler kann alles mögliche bewirken.

Was die Stentoren mit vermiformen Macronucleus angeht, kommen hier aktuell drei gültige Arten der Gattung Stentor in Betracht. Unter ihnen ist hier in der Tat die farblose Art S. roeselii (Stein, 1867) zu nennen. Daneben listen Foissner & Woelfli noch S.loricatus (Bary, 1950) und S. barretti (Warren, 1985). Den Macronucleus könnte man in Deiner Abbildung gerne auch als nodular deuten. Daher ist es sicher wichtig, das ausgestreckte Tier abzubilden.

Zur Abgrenzung zwischen S. roeselii und S. barretti siehe vor allem folgende Arbeit. Alle drei Arten, die einen vermiformen Kern tragen, bauen übrigens eine mehr oder wenige lange Lorica, wenn sie sich länger an Ort und Stelle niedergelassen haben. Um diese zu zeigen muss man sie länger in einer feuchten Kammer halten.

Foissner, W. & Wölfll, W., 1994: Revision of the genus Stentor. J. Plankton Research, 16/3, pp. 255-289.

Ich halte es für wahrscheinlich, dass die beiden Arten S. roeselii und S. barretti häufig verwechselt werden und schließe diesbezüglich falsche Einsortierung eigener Funde nachträglich nicht aus. Ob die bisherige Einschätzung hilft, dass nämlich S. barretti bisher nur in europäischen Flüssen gefunden wurde, lässt sich nur durch weitere Beobachtungen klären. Eine Vereinzelung und Kultur aus Proben, die mehrere Stentor Arten beherbergen, ist unabdingbar, um gefundene Arten auseinander zu halten. Wie bei Spirostomum auch, findet man gerne mehrere Stentor Arten nebeneinander. Eine lokale Verdichtung hunderter Individuen bedeutet nicht, dass man nur eine Art vor sich hat - im Gegenteil.

Bezüglich der Taxonomie würde ich mich sicherlich nicht mehr am "Kahl" orientieren. Corliss hat die Climacostomidae 1979 in eine eigene Familie gestellt. Die Gründe sind einleuchtend. Sie ähneln den Condylostomatidae oder Bursariidae sicherlich mehr, als einem Stentor. Auch Fabrea geht aktuell in den Climacostomidae auf. Stentoridae münden nach meinem aktuellen Wissensstand heute direkt in die einzige Gattung, nämlich Stentor. Wichtige Details sind bei Lynn (2008) nachzulesen. Corliss und Lynn begannen ultrastrukturelle Merkmale mit hinzu zu nehmen, die uns verborgen bleiben werden. In 2016 ist übrigens eine aktuelle Zusammenfassung des aktuell gültigen Strauß Blumen der Taxa der Ciliaten in Nature erschienen. Heute sortiert man die Taxa anhand genetischer Merkmale neu. Und nun ist Nomenklatur umstrittener, als je zuvor.

Literatur u.a.:

Lynn D. H., 2008. The Ciliated Protozoa. Springer.
Gao, F. et al. (2016). The all-data-based evolutionary hypothesis of ciliated protists with a revised classification of the phylum Ciliophora (Eukaryota, Alveolata). Scientific Reports, 6(1), 1-14.

Mein Fazit: Es ist doch nicht so einfach. [smilie_happy_194.gif]

Auf die Färbung in Deiner Abbildung würde ich übrigens nicht bauen. Ich halte diese dunkle "Färbung" in dieser Vergrößerung eher für eine Interferenzerscheinung des DIC. Nicht vollständig apochromatisch korrigierte Objektive neigen gerne zu solchen farbigen Erscheinungen. Vor allem der Blick auf die defokussierte Granula in Deiner Abbildung bestätigt mir, dass hier keine echte Farbe im Spiel ist. Hier kippt es von schwarz (grau) auf hell mit dunklem Rand. Ein typisches Interferenzbild.

Viele Grüße

Thilo

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Re: Bestimmen kann so einfach sein – Stentor roeselii

#3 Beitrag von SNoK » 24. Januar 2021, 23:41

Lieber Thilo,

sicherlich hast Du Recht mit den Verwechslungsmögichkeiten mit S. loricata und S. barretti. S. barretti habe ich verworfen, weil ich kein so langes Gehäuse wie bei Foissner et al. beschrieben gesehen habe, vor allem beim Blick in das Aquarium. Dort gibt es ein Gehäuse, aber sehr viel kürzer. Ich habe, wie beschrieben, die Bestimmung nicht nur mit Kahl, sondern auch Foissner et al. gemacht. Was S. loricata, betrifft, steht bei Foissner et al., dass diese sonst identische Art "angeblich grüne Pigmentgranula besitzt". Jetzt habe ich auf der Abbildung mit den Granula tatsächlich auch eine Reihe grüne gesehen. Wenn das keine Farbveränderung durch DIK ist, könnte es also auch S. loricata sein. Allerdings erscheint die Art weder im Aquarium noch unter dem Mikroskop grün oder grünlich. Ich bleibe bei S. roeselii, da nach der Literatur (Bary 1950 und Foissner/Wölfll 1994) S. loricata grün bis dunkelgrün aussehen soll. Übrigens, auch Foissner/Kreutz (2006) ("Simmelried-Buch") benutzen eine entsprechende Abbildung der Granula mit DIK, es scheint also möglich zu sein.

Noch was zum Kern. Du schreibst: "Den Macronucleus könnte man in Deiner Abbildung gerne auch als nodular deuten". Das sehe ich ganz anders, denn er ist ganz klar nicht nodular, höchstens im oberen Teil noch etwas gefaltet, weil sich Stentor noch nicht ganz gestreckt hat. Aber es gibt für mich keinerlei Zweifel an dem vermiformen Kern!

Grüße
Stephan

P. S.: Und noch drei weitere Bilder. Eins, um noch einmal den vermiformen Kern zu zeigen, eins aus dem Aquarium für den Gesamteindruck und eins mit dem Gehäuse.


Auf dieser Abbildung ist noch einmal der vermiforme Makronucleus zu erkennen, der fast auf der gesamten Länge deutlich gestreckt ist.
Auf dieser Abbildung ist noch einmal der vermiforme Makronucleus zu erkennen, der fast auf der gesamten Länge deutlich gestreckt ist.
AQ Stentor 006.jpg (186.35 KiB) 4040 mal betrachtet
Hier sieht man die kleinen Stentoren, die überhaupt nicht grün aussehen, sondern wenn, dann bläulich. Und das Gehäuse ist nicht sehr lang.
Hier sieht man die kleinen Stentoren, die überhaupt nicht grün aussehen, sondern wenn, dann bläulich. Und das Gehäuse ist nicht sehr lang.
AQ Stentor roeselii.jpg (119.57 KiB) 4040 mal betrachtet
Dateianhänge
Hier kann man deutlich sehen, dass das Gehäuse im Vergleich zu dem hier noch nicht ganz gestreckten Stentor vielleicht ein Drittel ausmacht.
Hier kann man deutlich sehen, dass das Gehäuse im Vergleich zu dem hier noch nicht ganz gestreckten Stentor vielleicht ein Drittel ausmacht.
AQ Stentor roeselii 001.jpg (168.37 KiB) 4033 mal betrachtet
Mikroskope: Leica DMRB mit Plan Fluotar und PlanApo, Leitz Dialux mit NPl
Stemi: Zeiss Stemi 508, Wild-Heerbrugg M5
Kamera: Sony alpha 6400 und 6500
Webseite: https://kralls.de
Vorstellung: viewtopic.php?f=32&t=831

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