Synchroner Zellzyklus bei Paramecium

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paramecium
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Synchroner Zellzyklus bei Paramecium

#1 Beitrag von paramecium » 1. April 2024, 17:00

Liebe Tümpler,

Da ich gerade Bilder für einen Vortrag meines Freundes Horst Wörmann anfertigte, bot sich wieder einmal diese herrliche Gelegenheit, die Zellteilung von Paramecium caudatum zu beobachten.

Versuchsdurchführung

Man überimpft Paramecien aus einer laufenden Kultur in frisches Kulturmedium und wartet einige Tage. Hat sich die Kultur nun etwas dichter entwickelt, kann etwa zur gleichen Tageszeit mit der mikroskopischen Beobachtung begonnen werden.


Synchroner Zellzyklus

Anfänglich sind die Jungs meist nicht so erfreut, denn die mit ihnen überimpften Futter-Bakterien sind stark verdünnt und der Mittagstisch nicht üppig gedeckt. In dieser frühen Phase des Neuansatzes der Kultur triggert Nahrungsmangel obendrein meist Konjugationen, also Paarung genetisch kompatibler Zellpartner. Solche Konjugationen treten nun häufiger auf, als in einer älteren mit Bakterien gesättigten Kultur. In der nun allmählich einsetzenden Log-Phase der Vermehrung der Population werden die Paramecien nun ihren Zellzyklus weitgehend synchronisieren. Sprich, sie teilen sich synchron, sobald Nahrung wieder in ausreichendem Maße zur Verfügung steht. So lassen sich die Vorgänge der Zellteilung kultivierter Ciliaten sehr schön mit dem Mikroskop beobachten, denn die präparierten Individuen zeigen sich praktisch alle in der gleichen Phase des Zellzyklus und man wird nichts verpassen.

Während der Zellteilung werden die Zellorganellen nach und nach, jedoch nicht gleichzeitig gebildet. Erwischt man die Paramecien im richtigen Moment, so hat es nun den Anschein, als habe man eine neue Spezies Paramecium vor sich. Alle Individuen haben plötzlich drei, anstelle zweier kontraktiler Vakuolen. Nach und nach wird sich die vierte Vakuole bilden und andere Organellen, wie der Zellmund folgen. In der letzten Aufnahme zeigt das gleiche Individuum bereits die vierte Vakuole. Es muss ein ziemlicher Kraftakt für die Zellen sein, diese komplexen Zellstrukturen bei der Teilung zu kopieren und zwei identische Tochterzellen auszubilden. Man möchte gerne tiefer hinein blicken in die komplexen biologischen und chemischen Abläufe der Zellteilung.

Ein interessanter Befund ist übrigens, dass die Kriställchen in Paramecium sich ebenfalls auf die sich bildenden Tochterzellen verteilen und in die beiden Pole der Zelle zu rutschen scheinen. Hierüber werden mein Freund und ich später berichten, denn wir versuche aktuell mit einem einigermaßen aufwändigen Präparationsverfahren und der Ramanspektroskopie hinter das Geheimnis zu kommen, woraus die Kriställchen bestehen. Der Versuchsaufbau steht, die Beobachtungen waren erfolgreich. Noch ist Literaturrecherche und etwas Beobachtungsmaterial erforderlich, um unsere Beobachtungsergebnisse zu einem späteren Zeitpunkt zu dokumentieren.

Ich wünsche ein frohes Osterfest!

Thilo


Abbildung 1: Paramecium caudatum in beginnender Zellteilung, schiefe Beleuchtung, LD-LCI Plan-Apochromat 25x/0,8, Wasserimmersion.
Paramecium_caudatum_HF_LD-LCI-PlanApo-25x.jpg
Paramecium_caudatum_HF_LD-LCI-PlanApo-25x.jpg (359.74 KiB) 2751 mal betrachtet

Abbildung 2: Paramecium caudatum in beginnender Zellteilung, Polarisation, LD-LCI Plan-Apochromat 25x/0,8, Wasserimmersion.
Paramecium_caudatum_Pol_LD-LCI-PlanApo-25x.jpg
Paramecium_caudatum_Pol_LD-LCI-PlanApo-25x.jpg (317.65 KiB) 2751 mal betrachtet

Abbildung 3: Paramecium caudatum in beginnender Zellteilung, schiefe Beleuchtung, C-Apochromat 40x/1,2 W in Wasserimmersion. Hier wurde inzwischen bereits die vierte pulsierende Vakuole in der Zelle angelegt. Sehr schön sind die typischen Kanälchen der pulsierenden Vakuolen zu sehen. Der bunte Lichthof rechts unten im Bild ist hier ein Artefakt der schiefen Beleuchtung mit dem noch eingelegten Polarisator und der nicht voll ausgeleuchteten Apertur im polarisierten Licht.
Paramecium_caudatum_HF_C-Apo-40x.jpg
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Re: Synchroner Zellzyklus bei Paramecium

#2 Beitrag von SNoK » 3. April 2024, 11:33

Lieber Thilo,

danke für diesen informativen Beitrag über den wohl bekanntesten Mikroorganismus. Ich glauben, dass die meisten Menschen, auch wenn sie keine Ahnung von Mikroorganismen haben, das Pantoffeltier kennen und natürlich „die“ Amöbe. Übrigens hat Martin Kreutz auch gerade einen interessanten Beitrag über Paramecium auf seiner Webseite gebracht: https://realmicrolife.com/paramecium-caudatum/.

Viele Grüße aus Australien,

Stephan
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Re: Synchroner Zellzyklus bei Paramecium

#3 Beitrag von KayZed » 13. Mai 2024, 09:15

Hallo Thilo,

danke für deinen interessanten und informativen Beitrag zum Zellzyklus von Paramecium.

Ich habe vor etwa zwei Jahren in einer Kultur auch einige Exemplare von P. caudatum mit drei Kontraktilen Vakuolen gefunden.
Ich hatte damals Kontakt mit Martin Kreutz, der meinte, es könne sich um Degenerationsformen in einer alten Kultur handeln.

Nach der Lektüre deines Posts halte ich es nun für plausibler, dass es sich auch hier um Paramecien kurz vor der Teilung gehandelt haben könnte.
Was meinst du dazu?
Leider habe ich mich damals mit dem ungewöhnlichen Eindruck zufrieden gegeben und die Entwicklung der Tierchen nicht weiter verfolgt.

Als Beispiel hänge ich eine Aufnahme mit Ph+ 40 an:
Paramecium 15 caudatum Pantoffeltier 3 Kontraktile Vakuolen (Art-Variante) PH+ 40-Z7.jpg
Paramecium 15 caudatum Pantoffeltier 3 Kontraktile Vakuolen (Art-Variante) PH+ 40-Z7.jpg (129.36 KiB) 2322 mal betrachtet
Liebe Grüße
Klaus
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Re: Synchroner Zellzyklus bei Paramecium

#4 Beitrag von paramecium » 14. Mai 2024, 06:28

Hallo Klaus,

sehr gelungenes Foto, noch dazu in einer hier selten gezeigten Kontrastmethode. Klasse!

Ich bin nicht sicher auf wen der Begriff "Degenerationsform" zurück geht. Im Ciliatenatlas Band 4, Seite 349 findet sich dieser Begriff etwa als Umschreibung für Arten der Gattung Litonotus mit verändertem Aussehen. Einen Beleg für diese spekulative Mutmaßung liefern Foissner, et al. (1995) jedoch nicht [1]. Solche spekulativen Behauptungen ziehen sich mehrfach durch den Ciliatenatlas und reißen durch ihren Hinweis eine breite Schneise neuer Forschungsaufgaben für Amateure auf. Bis dato bleibt solches spekulativ behauptet. Die Autoren übernehmen in Band 2 des "Ciliatenatlas" [2] auf Seite noch einen anderen Begriff, nämlich "Umweltmodifikation" von Alfred Kahl. Beide Begriffe werden jedoch nicht wirklich erklärt. Mehr noch, sie führen uns in die Irre. Alfred Kahl erklärte ursprünglich seine Unsicherheit über diese Aussage einer eventuell vorhandenen "Umweltmodifikation" und schlug vor, solche Arten in Kultur zu nehmen und genauer zu beobachten, um sie tatsächlich differenzieren zu können. Andere Autoren, die nach ihm schrieben waren viel vorsichtiger in der Formulierung, vermieden die Spekulation und schlugen vor, unsichere Arten zu revidieren und wieder zu beschreiben, sofern sie erneut gefunden werden.

Sicher ist, dass man durch die Verwendung der Begriffe und hochgradig spekulativer Behauptungen an mindestens zwei Stellen des Ciliatenatlas einige Arten in einen Topf geworfen hat, die man besser hätte so stehen lassen, wie Kahl sie erstmalig differenzierte. Heute zerbrechen sich Taxonomien und Molekularbiologen die Köpfe, wie sie das Alignment der Gensequenzen der verschiedenen Morphospezies in einem Teil der Phylogenie dieser Gattung von Ciliaten wieder "auf Linie" trimmen können, um die tatsächliche Arten-Diversität auch genetisch zu belegen. Man versucht verschiedene statistische Verfahren und Algorithmen mit Methoden der Bioinformatik gegeneinander auszuspielen – und erhält fatalerweise verschiedene Ergebnisse der Zuordnung der einzelnen Gensequenzen und Arten. Irrwege der Taxonomie mit inadäquaten Methoden der Informatik und Statistik, wenn Du mich fragst. Immerhin wurden sie publiziert, um uns davor zu warnen, die gleichen Fehler zu wiederholen.

Ich selbst fand echte Umweltmodifikationen bislang nur in einigen dokumentierten Fällen. Einmal hatte ich einen unglücklichen Ciliaten beim Auflegen des Deckglases mit einem mikroskopisch kleinen Sandkorn sprichwörtlich festgenagelt. Das unglückliche Tier schwamm mit einem Loch im Körper so lange im Kreis, bis es sich mit einer klaffenden Wunde losriss. Er regenerierte sehr schnell zur ursprünglichen Form! Ferner gibt es Hungerformen bei Spirostomum Arten. Dass Spirostomum ambiguum jedoch Cysten bildet, wie von Foissner beschrieben, konnte ich bislang nicht bestätigt finden. Bislang konnte ich nur kugelig abnorme Kontraktionen beobachten, die sich nach dem Verbringen in Kulturlösung rasch erholten. Sie waren von gefräßigen Nauplien der Hüpferlinge attackiert worden. Blepharisma spp., dokumentiert für B. americana und B. japonicum, zeigen eine gewisse Variabilität in Größe und Form der Zelle abhängig vom Nahrungsangebot, bisweilen sogar Kannibalismus.

Ciliaten sind offenbar aufgrund der hoch redundanten Anlage der DNA im somatischen Zellkern (dem Macronucleus) offenbar in der Lage selbst größere Verletzungen schadlos zu überstehen, als wäre nicht passiert, außer einer "gewöhnlichen" Zellteilung. Statt Degeneration findet man Regeneration und Zellzyklen. Weitere Beispiele sind frühere Untersuchungen, bei denen man Stentor oder Spirostomum wissenschaftlich zu zerteilen versuchte. Diese Fähigkeit zur Regeneration ist erstaunlich.

Die in den Begriffen "Degenerationsform" oder "Umweltmodifikation" kommunizierte Botschaft permanenter, "abnormer" Modifikationen in der Morphologie und die fehlende Abgrenzung tatsächlich vorliegender Arten bleibt hoch spekulativ und schwer zu greifen. Die Bestimmung anhand rein morphologischer Merkmale bei den Ciliaten ist alleine genommen schon ein schweres Aufgabenfeld, bei dem man an der notwendigen Versilberung und der Molekularbiologie heute nicht mehr vorbeikommt und den Schulterschluss mit Forschungslaboren suchen muss.

Man kann die Taxonomie anhand rein morphologischer Studien nicht ohne den Zellzyklus der Ciliaten betreiben.

Synchronizität in der Zellteilung und Konjugation sich rasch vermehrender Populationen ist wissenschaftlich belegt. Jankowski (1972) hatte dies für P. putrinum sehr schön dokumentiert.

Ich plädiere dafür gerade im Bereich der Amateurmikroskopie auf die Verwendung der beiden Begriffe "Degenerationsformen" und "Umweltmodifikation" zur Umschreibung gefundener Abweichungen geglaubter Arten besser zu verzichten. Sie sind in gewissen Bereichen inadäquat, missverständlich und irreführend.

Viele Grüße

Thilo

Literatur:

[1] Foissner et al. (1995). Taxonomische und ökologische Revision der Ciliaten des Saprobiensystems. Bayrisches Landesamt für Wasserwirtschaft.

[2] Foissner et al. (1992). Taxonomische und ökologische Revision der Ciliaten des Saprobiensystems. Bayrisches Landesamt für Wasserwirtschaft.

[2] Jankowski, A. W. (1972). Cytogenetics of Paramecium putrinum C. et L., 1858. Acta Protozoologica, 10(17).

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Re: Synchroner Zellzyklus bei Paramecium

#5 Beitrag von KayZed » 14. Mai 2024, 07:35

Hallo Thilo,

ein Dankeschön für deine interessanten Ausführungen.

Wie gesagt, die Degenerationsvermutung stammt von Martin, wohl einfach deshalb, weil er ein Paramecium mit drei Kontraktilen Vakuolen noch nicht zu Gesicht bekam.

Man erfindet in manchen Bereichen der Naturwissenschaft spekulative Begriffseinführungen, wenn man das Phänomen (noch) nicht erklären kann. Ein berühmtes Beispiel ist die "Dunkle Energie" in der Astrophysik.

Deine Erklärung der der drei Vakuolen war für mich einfach plausibler. Natürlich muss so ein Phänomen durch wiederholte Beobachtung verifiziert werden.

In meinen Funden stelle ich immer wieder sog. degenerierte Formen fest. Besonders häufig scheinen sie mir bei spirotrichen Ciliaten aufzutraten, wo manchmal ganze Teile "verkrüppelt" erscheinen, die Viecher aber trotzdem recht vital wirken. Möglicherweise sind das ebenfalls keine Degenerationserscheinungen, sondern schlicht Verletzungen, die wieder "ausheilen". Eventuell könnten sie auch durch die Manipulation bei der Probenaufbereitung entstanden sein.

Viele Grüße
Klaus
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Re: Synchroner Zellzyklus bei Paramecium

#6 Beitrag von paramecium » 14. Mai 2024, 08:08

KayZed hat geschrieben:
14. Mai 2024, 07:35
Möglicherweise sind das ebenfalls keine Degenerationserscheinungen, sondern schlicht Verletzungen, die wieder "ausheilen". Eventuell könnten sie auch durch die Manipulation bei der Probenaufbereitung entstanden sein.
Die meisten solcher "Degenerationen" entstehen sicherlich durch den Einfluss des Präparators – auch eigene Blödheit genannt – wie etwa in diesem Beispiel.

in der schonenden Beobachtung mit dem Stemi in die Petrischale oder beim Blick in das Probenglas finden sich immer wieder brutale Angriffe durch Hüferlinge und deren Nauplien.

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