Stentor coeruleus vs. Stentor polymorphus

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RalfF
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Stentor coeruleus vs. Stentor polymorphus

#1 Beitrag von RalfF » 17. Dezember 2019, 18:16

Guten Tag zusammen,

Mitte November entnahm ich eine schlammige Sedimentprobe aus einem langsam fließenden Graben, in einem Waldgebiet in Hürth, nahe Köln gelegen. Dieser Laubwald befindet sich in einer Rekultivierung eines früheren Braunkohle-Abbaugebietes, der durchzogen ist von Restwassern und von wasserführenden Gräben. Aus einem dieser mit reichlich Herbtslaub gefüllten Gräben stammt die o. g. Probe. Genügend Nahrung also für meine bevorzugten Beuteobjekte – die Ciliaten.

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Foto 1: Wasserführender Graben in einem Laubwaldbereich – Habitat etlicher Ciliatenarten

Beim Durchmustern des Probenglases fanden sich darin zwei Vertreter der Gattung Stentor, neben weiteren von mir nicht beachteten Ciliatenarten. Bei den Stentoren handelt es sich um den blaugrünen Stentor coeruleus (Foto 2) und den mit symbiontischen Algen ausgestatteten Stentor polymorphus (Foto 3).

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Foto 2: Stentor coeruleus (Habitus)

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Foto 3: Stentor polymorphus (Habitus)

In der Gegenüberstellung dieser beiden großen Ciliaten fällt zunächst die einheitliche „Färbung“ von Stentor coeuleus auf, die auf das Vorhandensein des Proteins Stentorin beruht, das auch für die photophobischen Reaktionen dieses heterotrichen Ciliaten verantwortlich ist.

Ganz im Gegensatz zur der einheitlich scheinenden Färbung von Stentor coeruleus, ist das Erscheinungsbild des im vorliegenden Fall etwas größeren Stentor polymorphus eher hyalin geprägt mit den auffallend hellgrünen Symbionten einer kleinen coccalen Alge und den offensichtlich gefressenen Eugleniden, die sich zum Teil in Agglomerationen innerhalb der Nahrungsvakuolen befinden.

Die Detailaufnahmen des apikalen Bereichs zeigen bei beiden Arten deutlich das Peristom, mit dem zur Nahrungsaufnahme dienenden Membranellenband, das aus dicht an dicht stehenden Cilien besteht.

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Foto 4: Stentor coeruleus (apikaler Bereich)

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Foto 5: Stentor polymorphus (apikaler Bereich)

Bei Stentor coeruleus (Foto 6) sehr gut zu erkennen, aber auch bei Stentor polymorphus (Foto 8), ist der bei beiden Arten vorkommende, moniliforme Makronucleus, der die somatischen Zellprozesse steuert.

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Foto 6: Detailaufnahme des moniliformen Makronucleus bei Stentor coeruleus

Den caudalen Bereich der beiden Stentorenarten zeigen die Fotos 7 und 8. Am äußersten Ende der Ciliatenzelle, finden sich pseudopodiale Fortsätze, mit deren Hilfe sich die überwiegend sessil lebenden Stentoren auf dem Substrat festsetzen (gut zu erkennen auf Foto 7), um auf diese Weise Nahrungspartikel einstrudeln zu können.

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Foto 7: Stentor coeruleus (caudaler Bereich)

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Foto 8: Stentor polymorphus (caudaler Bereich)

Ich hoffe die kleine Dokumentation über diese beiden auffallenden und interessanten Vertreter der Heterotricha hat Euch gefallen!

Beste Grüße
Ralf
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Stentor polymorphus detail 3 Text_2618.jpg
Stentor coeruleus caudal Text _2647.jpg
Stentor coeruleus Makronukleus 2 Text_2649.jpg
Stentor polymorphus 2 detail Text_2609.jpg
Stentor coeruleus Cytostom 2 Mund_2657.jpg
Stentor polymorphus Habitus 2 Text_2604.jpg
Stentor coeruleus Habitus Text_2634.jpg
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Re: Stentor coeruleus vs. Stentor polymorphus

#2 Beitrag von Michael » 18. Dezember 2019, 08:49

Hallo Ralf,

vielen Dank für Deine ausführliche Dokumentation dieser schönen Tiere. Besonders im Herbst und Winter finde ich oft Stentoren. Gibt es da eine jahreszeitliche Häufung?
Besonders interessant finde ich die caudalen Pseudopodien. Weiß man eigentlich, wie sich die Stentoren - meist erstaunlich fest - damit anheften?

Viele Grüße

Michael
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Re: Stentor coeruleus vs. Stentor polymorphus

#3 Beitrag von RalfF » 20. Dezember 2019, 12:39

Hallo Michael,

es freut mich, dass mein Foto-Beitrag Dir gefallen hat. Da ich erst seit ca. 1,5 jahren auf Ciliaten-Jagd bin, fehlen mir bislang die Erfahrungen über das jahreszeitliche Auftreten von Stentoren - wenn ich allerdings die Literatur bemühe, gibt es hierzu sehr unterschiedliche Aussagen. Mal wird an einem Fundort ein vor allem winterliches (Massen-)Auftreten erwähnt, ein anderes Mal wird geschildert, dass dieses im Frühjahr und Herbst geschehe, dann wiederum wird von einem ganzjährigen Auftreten berichtet. Ich kann mir daraus kein eindeutiges Bild machen, vielleicht hängt es aber auch weniger mit der Jahreszeit an sich, sondern eher mit dem Zusammenspiel der jeweils für die Vermehrung erforderlichen Faktoren ab - so bspw. eine vorhandene gute Nahrungsverfügbarkeit, bei einem gleichzeitig eher geringem Konkurrenz- und Feinddruck und weiterer förderlicher physiko- chemischer Parameter!?

Zu den von mir dargestellten caudalen Pseudopodien bei Stentor coeruleus habe ich bislang noch keine neuere, die Funktionsweise beschreibende Arbeit gefunden - lediglich bei "Tartar, V.: THE BIOLOGY OF STENTOR, 1961", wird auf eine ältere Arbeit "Andrews, E. A. (1945): Stentor´s anchoring organs. J.Morph. 77, 219-232." Bezug genommen, in der er wohl beschreibt, dass sich caudale Cilien offenbar in viskose, starre, nadelförmige Pseudopodien umwandeln können, die er "radiants" nennt. Ob diese Darstellung gegenwärtiger Stand der Forschung ist und wie diese "Radianten" funktionieren ist mir nicht bekannt, zumal mir diese Arbeit nicht vorliegt - vielleicht weiß ja ein Mitlesender mehr hierüber?

Beste Grüße
Ralf
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Re: Stentor coeruleus vs. Stentor polymorphus

#4 Beitrag von Michael » 20. Dezember 2019, 12:54

Hallo Ralf,

vielen Dank für Deine Antwort, und Dein Hinweis auf die Arbeit von Andrews, die ich mir gleich mal besorgt habe und mal in Ruhe lesen werde (Download unter https://booksc.xyz/book/1605734/acecf4).

Viele Grüße

Michael
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Re: Stentor coeruleus vs. Stentor polymorphus

#5 Beitrag von RalfF » 20. Dezember 2019, 13:53

Hallo Michael,

auch Dir sei Dank ausgesprochen für den Link zu der Veröffentlichung - damit wird es uns beiden ja nicht langweilig über die Weihnachtsfeiertage!

Frohe Feiertage wünscht Dir!
Ralf
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Re: Stentor coeruleus vs. Stentor polymorphus

#6 Beitrag von Michael » 22. Dezember 2019, 16:49

Hallo Ralf,
Dein Einverständnis vorausgesetzt, möchte ich Deine schönen Beitrag mit zwei Bildern zum Haftorgan des Stentors ergänzen:

In einem meiner Mikroaquarien habe ich zufäjllig einen Stentor coereolus gefunden, der sich seit einigen Tagen an der gleichen Stelle angeheftet hat und sich dort wohl recht wohl fühlt. In Mikroaquarien ist es oft leichter als in klassischen temporären Präparaten, das natürliche Verhalten der Protisten zu beobachten. Dafür sind durch die größere Schichtdicke die Fotobedingungen schlechter - alles hat eben seinen Preis.
Beim angehefteten Stentor fällt am Fuß die große, gefärbte amöboide Haftscheibe auf, die einen erstaunlich großen Durchmesser hat.

Bild

Bei genauerer Betrachtung erkennt man, dass von dieser Haftscheibe viele "Härchen" ausgehen mit denen sich der Stentor am Substrat verankert. Diese Härchen sind keine Cilien sonder Pseudopodien, also Gebilde des Zellplasmas.

Bild

Sowohl Haftscheibe als auch Pseudopodien können in kurzer Zeit eingezogen werden um den Stentor vom Substrat zu lösen. Ich finde es immer wieder erstaunlich, auf welche perfekten Lösungen die "Natur verfällt".

Ich wünsche allen frohe Feiertage und ein interessantes und gesundes neues Jahr!

Michael
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Re: Stentor coeruleus vs. Stentor polymorphus

#7 Beitrag von Pelagodileptus » 23. Dezember 2019, 00:20

Hallo Ralf,
vielen Dank für die gute Dokumentation und Bebilderung Deines Beitrags. Die Frage wann sie häufig oder Massenhaft auftreten, kann ich Dir bedingt beantworten. Nach eigenen Beobachtungen ist die größte Massenentwicklung in den späten Herbstmonaten, meist November Anfang Dezember, zu beobachten. Oft auch in einem Weiher, der in den Sommermonaten mit „Lemna minor“ auch als Wassergrütze bekannt, bedeckt ist. Wenn das Wasser sich zum Spätsommer hin klärt, Laubeinfall statt findet und genügend Nahrung vorhanden ist, dann kann es sich um die Zeit handeln, wo die Cilis sich in Massen zu vermehren beginnen. Die Wassertemperatur liegt hier meist zw. 5ᵒ und 6,3ᵒC.
Dieses Jahr war so ein Jahr. Egal was man aus dem Wasser zog, Pflanzenreste oder Äste, alles war blaugrün mit Stentoren überzogen. Ich habe schon einiges an Massenentwicklungen miterlebt, aber dieses Jahr war es die Krönung. Selbst im Probengefäß hingen sie wie Trauben an der Wand. Neben Stentor coereuleus wurden S. polymorphus, S. muelleri und S. roeselii gefunden.
Hier ein Bild vom Probengefäß:

20191024_190143.jpg

Das Haftorgan, die caudale Pseudopodien habe ich meist nie richtig beobachtet und das nach 30 Jahren Cilis beobachten, „Asche auf mein Haupt“! Fotografiert ebenfalls nur bedingt. Siehe Bild:

Stentor coreuleus_I4A8176_2019-12-22a.jpg

Ich hoffe, dass ich einen kleinen Hinweis bzw. Beitrag leisten konnte und Danke an Michael für den Literaturhinweis von Andrews, welche ich mir sofort runtergeladen habe. Weihnachten ist damit für „uns“ gesichert.
Herzliche Grüße, Frohe Weihnachten und einen gesunden Start in 2020,
Michael
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Re: Stentor coeruleus vs. Stentor polymorphus

#8 Beitrag von RalfF » 23. Dezember 2019, 23:00

Guten Abend zusammen,

@ Michael
Deine Aufnahmen von der Haftscheibe und den Pseudopodien "im Einsatz" ergänzen meine Fotos sehr gut, die ja im vom Substrat losgelösten Zustand von Stentor coeruleus entstanden sind!
Und ja, es ist faszinierend, welche Lösungen die Natur immer wieder bietet - hätte man nur mehr Zeit, Hilfsmittel und Verstand mehr dieser Lösungen nachzuvollziehen, das würde ich mir wünschen - auch und gerade zu Weihnachten!

@"Pelago-Michael"
Deine Beobachtungen sind interessant, um welche Art von Weiher handelt es sich, um einen Angelteich, einen Badesee, ein Moorgewässer... und welche Nahrung scheinen die Stentoren dort zu bevorzugen?
S. muelleri und S. roeselii habe ich bislang noch nicht gefunden.

Beste Grüße
Ralf

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Re: Stentor coeruleus vs. Stentor polymorphus

#9 Beitrag von Pelagodileptus » 24. Dezember 2019, 15:29

Hallo Ralf,

es handelt sich hier um einen Weiher, wo nicht geangelt und gebadet wird. Entstanden ist der Weiher aus einem Kiesabbau in den 60iger Jahren, der umgeben ist, von Weiden und Erlenbäumen. In diesem Jahr ist der Wasserstand durch den trockenen Sommer, um 80 cm gefallen. In den Sommermonaten machte sich hier die Wassergrütze (Lemna minor) breit. Erst im Herbst nach einigen Regenfällen, verschwand die Wassergrütze. In dieser Zeit konnte ein Hoch von Blatt- und Ruderfußkrebsen verzeichnet werden. Ciliaten spielten hier kaum eine Rolle. Nachdem es kälter und die Wassertemperaturen zurückgingen, konnte eine Zunahme der Ciliaten, hier Holophrya ovum, Holophrya teres, Coleps hirtus, C. amphacanthus, Didinium nasutum, Paradileptus elephantinus, Trachelius ovum, Phascolodon vorticella, Bursaria truncatella, Frontonia leucas mit und ohne Zoochlorellen, Frontonia acuminata, Pelagiophyla nasuta, Spirostomum teres, S. ambigium und S. semivirescens, Campanella umbellaria, Vorticella convallaria, V. microstoma, nur um einige Namen zu nennen, beobachtet werden. Als Nahrung diente hier vor allem die Goldalge Synura uvella und eine andere Synura sp., die ich nicht näher bestimmt habe. Einige Euglena-Arten, Kryptomonaden vor allem Cryptomonas ovata, sowie Uroglena volvox, Pandorina morum und kleinere Dinoflagellaten-Arten, sowie mehrere Grünalgen-Arten rundeten den Mittagstisch ab.

Hier ein Bild buntes Herbstbild:

IMG-20191111-WA0000.jpg
IMG-20191111-WA0000.jpg (94.94 KiB) 12667 mal betrachtet



Ich hoffe, dass ich Dir hier weiterhelfen konnte!

In diesem Sinne weiterhin viel Freude an den Cilis,
Pelago-Michael

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