Acanthocystis turfacea

Nackt- und Schalenamöben sowie Sonnentiere
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MartinKreutz
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Acanthocystis turfacea

#1 Beitrag von MartinKreutz » 19. Juli 2017, 19:59

Liebes Forum,

hier mal ein Objekt, welches sicher viele Hobby-Mikroskopiker schon gesehen und auch vielleicht fotografiert haben. Es handelt sich um das bekannte und sehr häufige Sonnentier Acanthocystis turfacea. Auch im Netz sind sehr viele Aufnahmen von Acanthocystis turfacea zu finden.

Ich möchte hier zeigen, dass man auch diesem Objekt noch ein paar neue Aspekte abgewinnen kann. Insbesondere dann, wenn man die Beschreibungen in der Literatur am lebenden Objekt nachvollziehen möchte. Dann erst merkt man, dass viele Details nicht so leicht zu beobachten sind.

Hier eine Aufnahme von Acanthocystis turfacea, bei der ich den Fokus nicht auf den Zell-Äquator gelegt habe (wie oft im Netz zu sehen), sondern auf die Enden der sogenannten Spicula, welche auf dem Zellkörper sitzen und radiär abstrahlen. Sie bestehen aus amorphen Siliziumdioxid (Silica). Alle besitzen ein gegabeltes, distales Ende. Es sind hunderte:

Bild

Hier die „klassische“ Ansicht von A. turfacea mit dem Fokus durch den Zell-Äquator.

Bild

Man erkennt deutlich die Spicula, wie sie auf der Oberfläche sitzen. Dabei kann man deutlich die längeren Spicula mit ca. 50 µm Länge von den kürzeren mit ca. 15 µm Länge unterscheiden. Letztere besitzen längere Äste nach der Gabelung. Hier eine Detailaufnahme von einem gequetschten Exemplar:

Bild

Auch wenn es auf den oben gezeigten Bildern nicht zu sehen ist, so besitzt Acanthocystis turfacea eine weitere Art von Silica-Schuppen, welche in der Literatur beschrieben sind, aber im Internet eigentlich nie erwähnt werden. Der Zellkörper ist abgesehen von den gegabelten Spikula auch noch mit ovalen Schuppen belegt, auf denen wiederum die gegabelten Spicula sitzen. Dabei besitzen die gegabelten Spicula alle einen runden Fuß, ähnlich einem Sektglas, mit der sie auf dieser Schuppenschicht ohne scheinbare Verbindung sitzen. Eine schöne elektronenmikroskopische Aufnahme, auf der man dieses Arrangement besonders schön sieht, ist Eckhard und Steffen gelungen, die diese Aufnahme auf ihrer Seite „penard.de“ zeigen:

http://www.penard.de/Explorer/Heliozoa/Acanthocystidae/

Diese ca. 7-10 µm großen, ovalen Schuppen sind lichtmikroskopisch schwer zu fassen. Ich musste die Zelle unter dem Deckglas sehr stark quetschen, um sie im DIK überhaupt sehen zu können. Zudem musste ich einen sehr starken Gradienten einstellen und den Kontrast des Bild nachher noch kräftig verstärken. Aber dann sieht man sie (ich weiß, im PhaKo wäre es kein Problem gewesen):

Bild

Acanthocystis turfacea gehört zu den Centroheliden. Das bedeutet, die Axonema der Axopodien laufen alle im Zellzentrum am sogenannten Centroplasten zusammen. Der Centroplast ist der Mikrotubuli-Organisator der Zelle. Er kommt erst zum Vorschein, wenn man die Zelle etwas presst:

Bild
CP = Centroplast

Hier der Centroplast noch etwas näher mit dem 100 X Objektiv:

Bild
CP = Centroplast

Hat man die Zelle so weit gepresst, dass der Centroplast zu sehen ist, so tritt auch bald der Zellkern in Erscheinung, der bei den centroheliden Heliozoen oft randständig ist. Er besitzt bei Acanthocystis turfacea einen sehr großen Nucleolus, der oft asymetrisch geformt ist:

Bild
ZK = Zellkern

Auf dieser Aufnahme sieht man auch ein weiteres Detail, welches in den sonstigen Beschreibungen im Internet oft übergangen wird, denn Acanthocystis turfacea ist mit einigen hundert Zoochlorellen ausgestattet, welche die Zelle intensiv grün färben. Man muss die Zelle ganz zerfliessen lassen, um sie mal genauer untersuchen zu können. Sie scheinen vom Chlorella Typ zu sein (wobei man da immer sehr vorsichtig sein muss), mit einem Durchmesser von 5-6 µm. Sie besitzen einen glockenförmigen Chlorplasten und einen deutlich sichtbaren Pyrenoiden:

Bild
PY = Pyrenoid

Zum Schluss noch eine interessante Beobachtung, die ich zufällig gemacht habe. Als ich ein Exemplar Acanthocystis turfacea aus einer Probe herauspipettierte und isolierte, bemerkte ich, dass offensichtlich zwei „Bewohner“ von Acanthocystis mit isoliert wurden. Obwohl das Exemplar von Acathocystis turfacea seine Axopodien sehr schön ausgestreckt hatte und zum Einfangen von Beute offensichtlich bereit war, tummelten sich zwei Ciliaten zwischen den Spicula, ähnlich Anemonenfische in einer Anemone. Sie frassen offensichtlich die Bakterien, die sich zwischen den Spicula angesiedelt hatten. Bei den Ciliaten handelt es sich wahrscheinlich um Chilodonella uncinata. Einer der Ciliaten machte gerade eine Tauchfahrt zwischen die Spicula (Pfeil):

Bild
AX = Axopodien

Warum die Chilodonella nicht an den Axopodien kleben geblieben sind, kann ich nicht sagen. Ich denke, dass die Axopodien beutespezifisch reagieren und deshaln nicht "zugegriffen" haben. Über die potentiellen Beuteorganismen von Acanthocystis tufacea habe ich leider keine Informationen gefunden. Auch Nahrungsvakuolen mit identifizierbaren Resten konnte ich nicht finden.

Man sieht, dass man auch bei häufigen und vermeintlich alltäglichen Objekten noch was entdecken kann.

Viel Spass beim anschauen!

Martin
Zuletzt geändert von MartinKreutz am 15. März 2018, 21:36, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Acanthocystis turfacea

#2 Beitrag von Eckhard » 20. Juli 2017, 20:25

Hallo Martin,

Danke für die schönen Bilder und die Dokumentation. Die „spine scales“ oder Nadeln sind hohl, das kann man auf Deinen Aufnahmen gut erkennen. Oftmals sind die „plate scales“ oder Schuppen mit vielen Bakterien bedeckt. Von daher ist die Entdeckung der kleinen Ciliaten besonders interessant - denn meiner Kenntnis nach wirkt das Glykoprotein, das die Beute an den Axopodien anklebt, nicht Beute-spezifisch. Vielleicht haben die Ciliaten eine Immunität erlangt und leben von den Bakterien, geschützt durch den „Nadel-Wald“!

Centroheliden sind eine schlecht erforschte Gruppe. Du hast ja mal Kolonien (ich glaube R. viridis) gezeigt, in denen die Axoneme der einzelnen Zellen verschmolzen sind. In solchen Kolonien bilden die Centroheliden kleinere „Scales“. Auch scheinen manche Centroheliden manchmal „nackte“ Zellen, ohne „Scales“, bilden zu können. In Ferry’s Buch sind Centroheliden abgebildet, mit zwei „Scale Types“. Er hat das als geraubte Schuppen interpretiert. Tatsächlich scheinen aber manche Arten unterschiedliche Schuppen bilden zu können, so dass die Artbestimmung auf Basis der Schuppen nicht funktioniert.

Auf jeden Fall sind diese Sonnentierchen sehr interessant und die derzeit verfügbare Literatur hat erhebliche Lücken.

Herzliche Grüße
Eckhard

MartinKreutz
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Re: Acanthocystis turfacea

#3 Beitrag von MartinKreutz » 23. Juli 2017, 18:21

Hallo Eckhard,

Du meinst wahrscheinlich meinen Beitrag über Raphidiophys elegans:

http://www.mikro-tuemplerforum.at/viewt ... f=22&t=320

Wenn ich das nächste Mal eine Kolonie finde, werde ich die verschmolzenen Axonema mal versuchen etwas besser fotografieren.

Ja, das mit den "geklauten" Schuppen hat mir Ferry auch erzählt. Ich kann es schlecht beurteilen, ob diese Theorie korrekt ist. Die kann man eigentlich nur an einer Reinkultur prüfen, die nie mit anderen Heliozoen in Kontakt gekommen ist. Daran könnte man dann prüfen, welche Art von Schuppen von der Art tatsächlich gebildet werden können. Ich weiß aber nicht, ob es solche Art von Untersuchungen gibt. Mir scheint zumindest, dass es schon gewisse Arten gibt, die "konstant" zu sein scheinen und welche immer die gleiche Schuppenzusammensetzung zeigen (wie z.B. Acanthocystis turfacea).

Martin

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Re: Acanthocystis turfacea

#4 Beitrag von Ole » 24. Juli 2017, 19:34

Hallo Martin,

wunderbar dokumentiert - wie immer!

Ich beobachte in meinen Proben immer wieder Sonnentierchen, zwischen deren Axopodien ich inbesondere Flagellaten finde, die offenbar unbehelligt durch den Nadelwald ziehen. Möglicherweise setzt der Fangmechanismus - sofern er mechanisch getriggert wird - erst bei einer bestimmten Intensität ein. Unterhalb dieser Reizschwelle können kleine Organismen ungehindert in unmittelbarer Nähe des Sonnentieres leben, ohne gefangen zu werden. Möglicherweise eine Erklärung?

Viele Grüße

Ole

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